Fey 06: Die Erben der Macht
mußte.
»Ich bin nicht an den Palast gebunden«, sagte Solanda. »Ich kann gehen, wohin ich will.«
»Du konntest«, verbesserte Rugad leise. »Du konntest gehen, wohin du wolltest.«
Solandas Mund klappte auf, und ihre Augen blickten einen Moment lang ausdruckslos, bevor sie sich mit Panik füllten. Rugad mochte intelligente Menschen. Überflüssige Erklärungen entfielen.
»Du brauchst mich, Rugad.«
»Wozu denn?« fragte er. Solandas sorgsam kaschierte Panik ließ ihn kalt. Sie hätte es besser wissen müssen. Die Angst um ihr eigenes Leben blockierte ihre Intelligenz, nahm ihr den Scharfsinn, über den sie noch vor einem Augenblick verfügt hatte.
»Sie wird auf mich hören.«
»Ich bin sicher, daß sie auch auf einen Doppelgänger hören wird. Wenn sie auf der Blauen Insel aufgewachsen ist, hat sie wahrscheinlich noch nie einen zu Gesicht bekommen.«
»Tu das nicht!« sagte Solanda, die jetzt bewegungslos dastand. »Zwei Gestaltwandlerinnen an deiner Seite könnten von großem Nutzen für dich sein.«
»Ich wußte gar nicht, daß ich eine Seite habe«, gab Rugad zurück. »Morgen gehört mir diese Insel mitsamt meiner Urenkelin, und dann ziehe ich nach Leutia weiter.«
»Sie wird die Insel nicht verlassen.«
Rugad zuckte die Achseln. »Ich habe zwei Urenkel. Einer von beiden genügt mir.«
Solanda leckte sich die Lippen. »Du begehst einen Fehler, Rugad.«
»Nein«, antwortete er ruhig. »Du begehst einen Fehler, Solanda. Das Mädchen mag nützlich sein, aber es wiegt dein Versagen nicht auf.«
»Ich habe nicht versagt«, sagte Solanda. »Ich habe Rugar um deinetwillen getötet. Ich habe deine Urenkelin großgezogen. Du stehst für beide Taten in meiner Schuld, Rugad.«
»Nun, für den heimtückischen Mord an einem Familienmitglied des Schwarzen Königs schulde ich dir einen langsamen, qualvollen Tod«, entgegnete Rugad. »Dafür, daß du meiner Urenkelin geholfen hast, garantiere ich dir, daß dein Tod leicht sein wird. Mehr kann ich nicht für dich tun.«
»Rugad.« Solanda trat einen Schritt vor.
Er hob die Hand, und sie blieb stehen. »Das Mädchen ist fünfzehn«, sagte er. »Sie braucht dich nicht mehr. Sie kann auch ohne dich überleben. Du behauptest, das Schicksal der Fey liege dir am Herzen. Wenn das stimmt, wirst du verstehen, warum ich keinen Versager am Leben lassen darf.«
»Rugad …«
»Du hast ein langes Leben gehabt, Solanda, und jetzt gibt es sogar jemanden, der um dich trauern wird. Das ist mehr als genug.«
Ihre Augen glänzten. »Wenn du einmal am gleichen Punkt stehst, dann denk an mich, Rugad. Auch du wirst nicht das Gefühl haben, daß deine Zeit schon gekommen ist.«
»Falls du auf Mitgefühl hoffst, bin ich der falsche Mann dafür.«
Zu seiner Überraschung lächelte Solanda. »Deine Familie hat mir immer übel mitgespielt«, sagte sie. Sie reckte sich und straffte die Schultern. »Schick deinen Doppelgänger herein. Ich bin bereit.«
Rugad nickte ihr zu, ergriff die Fey-Lampe und verließ das Zelt. Draußen war die Luft kühler, ein sonderbarer Kontrast, den er zum ersten Mal bemerkte.
Er holte tief Luft, reinigte seine Lungen von dem Gefühl ihres Versagen. Solanda wäre eine mächtige Verbündete gewesen, aber er hätte ihr niemals vertrauen können. Solandas Mord an seinem Sohn verlieh ihr die Fähigkeit, dem Schwarzen Blut ungehorsam zu sein. Ihre Liebe zu seiner Urenkelin könnte eine Gefahr für seinen Urenkel bedeuten.
Ein zu großes Risiko gegen einen unsicheren Vorteil.
Trotzdem war es ein Jammer. Sie war stark, klug, wundervoll. Gestaltwandler waren die besten aller Fey.
Die Wachen neben der Tür beobachteten ihn. Rugad nickte ihnen zu und eilte durch das Zeltlabyrinth, bis er Gelô gefunden hatte.
»Nimm zehn deiner besten Leute«, sagte Rugad, »und tötet die Gefangene.«
Gelô blinzelte überrascht. »Ich dachte, du wolltest einen Doppelgänger einsetzen.«
»Das glaubt Solanda auch«, lächelte Rugad. »Aber warum sollte ich der Mörderin meines Sohnes einen so leichten Tod gönnen?«
Gelô schlug die Hacken zusammen und nickte. Dann ging er an Rugad vorbei, um sein Todeskommando zusammenzutrommeln.
Solanda bereitete sich auf einen Doppelgänger vor. Dank ihrer überragenden Intelligenz hatte sie sich vielleicht schon eine Fluchtmöglichkeit zurechtgelegt. Aber einem Exekutionskommando konnte sie nicht entkommen, insbesondere nicht, wenn es für eine Verräterin antrat.
Damit würde er ihr und den anderen eine Lektion erteilen. Die
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