Fey 06: Die Erben der Macht
mich dein Sohn an sich gebunden hat und weil ich nicht nach Hause zurückkehren und meine Ehre wiederherstellen konnte. Ich bin ebenso befleckt wie all die Fey, die du heute abgeschlachtet hast, obwohl es nicht meine eigene Schuld ist.«
»Dann sag mir, warum du am Leben bist.«
Sie verschränkte die Arme. »Du hast zuwenig Doppelgänger.«
»Hier im Schattenland habe ich noch mehr.«
Sie nickte. »Aber zuerst willst du mich aushorchen, um zu erfahren, was ich weiß.«
»Ich vermute, du weißt viel mehr als ich.«
»Hör mit diesen Spielchen auf, Rugad. Du willst deinen Urenkel.«
»Soweit ich verstanden habe, gibt es zwei.«
Sie schwieg und legte den Kopf schräg, als lausche sie einem weit entfernten Geräusch nach. Dann fragte sie: »Zwei Urenkel?«
»Ja.«
Sie lachte. Es war ein helles, vergnügtes und völlig unpassendes Lachen.
Rugad zog den Zelteingang hinter sich fester zu. Sie waren allein im Zelt. Die Fey-Lampen tauchten alles in goldenes Licht. Solandas Schatten zeichnete sich auf der hinteren Zeltwand ab, sein eigener auf den Seitenwänden. Die Umrisse wirkten erstarrt, Gefangene von Solandas Lachen und ihrem Wissen.
Rugad wußte nicht recht, ob ihm gefallen würde, was sie als nächstes sagte. Er war von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Das unterlief ihm nur selten.
»Du hast einen Urenkel und seinen Golem, Rugad«, sagte Solanda. »Dein Sohn hat deinen Urenkel gestohlen und ließ einen Wechselbalg als Ersatz zurück, und deine hochbegabte Enkelin hat nicht einmal Verdacht geschöpft.«
»Sie hat den Wechselbalg zum Leben erweckt?«
Solanda schüttelte den Kopf. »Das hat dein Urenkel getan.«
»Ich hätte den Golem doch entdecken müssen«, sagte Rugad. »Sie zerbrechen, wenn man sie unter Druck setzt.«
»Ich mache mir keine Sorgen um den Golem«, antwortete Solanda. »Der wird sich um sich selbst kümmern oder bei dem Versuch sterben.«
»Und mein Urenkel?«
»Ist ein begabter Visionär, aber das hast du bestimmt schon selbst herausgefunden. Deswegen bist du wahrscheinlich hergekommen.«
»Lauter Mutmaßungen, und keine davon ist wirklich falsch, Solanda. Aber bis jetzt hast du mir noch nichts Neues erzählt.«
»Dann werde ich es jetzt tun«, erwiderte sie. Sie stemmte die Hände in die Hüften und musterte Rugad, als sei er der Gefangene. »Auf der Insel gibt es einen wilden Zauber.«
»Das haben wir bereits festgestellt und das Inselgift neutralisiert.«
»Das Gift ist nur ein Teil dieses Zaubers. Dein Urenkel ein weiterer. Er erfüllt alle Hoffnungen und hatte seine erste Vision mit drei Jahren. Im gleichen Jahr hat er ein Schattenland errichtet. Aber er ist kein Krieger.«
»Wie könnte er auch, wenn er hier aufgewachsen ist?«
»Du versuchst bereits, ihn zu entschuldigen, Rugad«, sagte Solanda. »Jewels Brüder müssen ja völlig hoffnungslos sein.«
»Ihnen hätte ich sogar meinen Sohn vorgezogen.«
Solanda lächelte. »Verzweifelt und alt. Keine guten Voraussetzungen für einen Schwarzen König. Bist du Blind?«
Die Frage verärgerte ihn nicht. Ihr Leben hing nur noch an einem Seidenfaden. Sie hatte recht. Sie hatte nichts zu verlieren, wenn sie offen mit ihm redete.
»Nein«, antwortete er.
»Du lügst. Rugar war blind. Du mußt es auch sein.«
Rugad schüttelte den Kopf. »Ich hatte Visionen, noch auf dieser Insel. Ich habe Gesehen, wie mein Urenkel nach Leutia segelt. Ich habe unseren Sieg Gesehen und den Tod ihres Rocaan. Ich habe vieles Gesehen, Solanda, und ich rechne damit, daß sich daran auch in Zukunft nichts ändern wird.«
»Aber das Wichtigste hast du nicht Gesehen«, gab sie zurück. »Du hast zwei Urenkel, Rugad.«
»Du hast gesagt, einer davon sei ein Golem.«
»Ich habe nur gesagt, daß du einen Urenkel hast.«
Rugad stellte die Fey-Lampe ab, damit sie nicht sah, wie überrascht er war. Das hatte er wirklich nicht gewußt. Aber so war es eben mit Visionen. Zum Teil Antworten, zum Teil Überraschungen, zum Teil Eröffnungen.
Trotzdem hatte Rugad geglaubt, daß er etwas so Wichtiges wie eine Urenkelin Sehen würde.
»Eine Urenkelin«, sagte er und erhob sich. »Woher weißt du das?«
»Ich war dabei, als sie geboren wurde. Ich habe sie großgezogen.«
Fast gegen seinen Willen lachte er plötzlich dröhnend auf. Er machte keinen Versuch, es zu verbergen.
»Jetzt wäre ich dir beinahe auf den Leim gegangen, Solanda«, erwiderte er. »Aber jeder weiß, daß Wandler keine Kinder großziehen.«
»Stimmt. Tun sie auch nicht«, entgegnete
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