Fey 06: Die Erben der Macht
benötigte einen zweiten Plan. Darüber mußte er mit Arianna sprechen, sobald sie im anderen Turm waren. Und sie mußten auch über ihre Vision reden.
Arianna stand jetzt neben ihm. »Wir müssen uns beeilen«, sagte sie.
»Ich weiß.« Er warf einen Blick auf Sebastian. Der Gesichtsausdruck des Jungen war entschlossen, als richte er seine ganze Konzentration darauf, den Palast zu durchqueren.
Dann öffnete Nicholas die Tür – und versuchte vergeblich, sie wieder zu schließen. Ein Dutzend nackter Fey, vielleicht auch mehr, drängten sich ins Zimmer. Sie trugen altertümliche Schwerter, denen man das Alter und den häufigen Gebrauch ansah. Nicholas erkannte die Schwerter wieder. Sie stammten aus dem Großen Empfangssaal. Und vor ihnen standen Vogelreiter in ihrer menschlichen Gestalt.
Noch bevor er das Holzscheit auch nur heben konnte, hatten sie Nicholas bereits gepackt. Ihre Hände bohrten sich wie Klauen in seinen Arm. Sie ergriffen auch Arianna und Sebastian.
»Tut es nicht!« sagte Nicholas auf Fey.
»Wir wissen Bescheid«, sagte die Frau mit den Rabenhaaren, die vor ihm stand. Was auf den ersten Blick wie langes Haar wirkte, waren Federn, die ihr bis auf den Rücken reichten. »Ihr kommt mit uns!«
»Nein!« sagte Arianna und riß sich aus der Umklammerung der Fey los. »Ihr dürft uns nichts tun.«
»Das stimmt«, bestätigte die Frau. Sie hielt das Schwert, das Nicholas’ Urgroßvater während des Bauernaufstandes benutzt hatte, in der Hand, setzte die Spitze der Klinge an Nicholas’ Kehle und lächelte Arianna und Sebastian an. »Euch können wir nichts tun. Aber wir können Euren Vater töten.«
Arianna schob das Schwert mit der bloßen Hand von der Kehle ihres Vaters weg. Nicholas richtete sich auf, aber andere Fey hatten ihn bereits gepackt.
»Wenn du das noch mal tust«, sagte die Frau, »dann ist dein Vater ein toter Mann.«
»Das werde ich schon verhindern«, gab Arianna zurück.
»Du kannst nicht überall sein.«
Nicholas spürte die Spitzen der Klingen im Rücken. Er schwieg. Die Frau beachtete ihn nicht. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt seiner Tochter.
»Ari …«, sagte Sebastian und zeigte auf Nicholas. Nicholas blickte nach unten. Die Mehrzahl der Schwerter war auf seinen Körper gerichtet.
Arianna kniff die Augen zusammen. In diesem Augenblick war sie Jewel sehr ähnlich. Einer äußerst aufgebrachten Jewel. »Wenn ihr ihn verletzt, bringe ich euch alle um.«
»Wenn du tust, was ich dir sage, geschieht ihm nichts«, erwiderte die Frau.
»Gib mir dein Wort«, entgegnete Arianna.
»Fey halten sich nicht an ihr Wort«, sagte Nicholas in der Inselsprache. »Das hat mir deine Mutter gesagt, und ich selbst habe es oft genug gesehen.«
»Er hat recht«, stimmte die Frau auf Fey zu. »Aber wenn du willst, kann ich dir mein Wort geben.«
Arianna sah Nicholas an. Auf eine solche Situation war sie nicht gefaßt. Irgendwie war ihr Unterricht unvollständig gewesen. Nicht einmal Solanda hatte sie auf die Schwierigkeiten vorbereitet, die bei einem Zusammentreffen mit den Fey unweigerlich auftreten mußten.
Sie schluckte. Nicholas’ Herz pochte heftig. Seine schöne, impulsive Tochter würde sich selbst und mit etwas Glück auch noch Sebastian retten können. Aber sie konnte sie nicht alle drei retten. Und selbst wenn ihr die Flucht gelang, gab es keinen Ort, an den sie hätte fliehen können.
»Gut«, sagte Arianna. »Was wollt ihr?«
Die Frau lächelte. Sie besaß die Schönheit der Fey und die flachen Augen eines Vogels. Davon ging die Wirkung einer gezähmten Wildheit aus, einer besonders gefährlichen Wildheit. »Ich will, daß wir zusammenarbeiten«, sagte sie. »Zumindest bis zur Ankunft des Schwarzen Königs.«
32
»Warte«, sagte Wirbler und stieß noch tiefer hinab. Sie hatten sich noch nicht sehr weit vom Rastplatz entfernt. Die Sonne stand hoch am Himmel und gab ihnen eine gute Deckung. Spatzen waren im hellen Tageslicht am Himmel nur schwer zu erkennen.
»Ich sehe gar nichts«, murrte Cinder.
»Wir fliegen eben zu hoch.« Wirbler flog noch tiefer, viel tiefer als sonst. Irgend etwas hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Etwas, das er vor einem Augenblick überflogen hatte.
Da war es … am Straßenrand. Dort kauerte eine Fey-Frau, die die Hand auf den Rücken eines Mannes legte. Den Mann hatte Wirbler zuerst nicht gesehen. Kleidung, Haut und Haar hoben sich kaum von der Landstraße ab.
Jetzt richtete sich der Mann langsam auf, während die Frau einen
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