Fey 07: Die Augen des Roca
den Tod verdient hätte.«
»Verzeih«, mischte sich Denl wieder ein, »aber der Heilige Herr hat recht. Diese Fey sind verdammt blutrünstig. Die ziehn dir bei lebendigem Leib die Haut ab, bevor du dich umgedreht hast.«
»Oder sie fangen dich lebendig und lassen einen ihrer Unholde deine Seele stehlen und in ’ne Kiste sperrn«, setzte Jakib hinzu. Er schauderte so heftig, daß seine Fackel flackerte.
»Das habt ihr alles gesehen?« fragte Tri ungläubig.
»Aye«, bestätigte Denl. »Die ham sich fast die ganze Insel untern Nagel gerissen. Sie ham Jahn abgefackelt. Wie oft solln wir dir das noch erzähln, Mann? Sie sind gekommen, um uns alle abzumurksen.«
»Und das glaubt ihr tatsächlich?« fragte Tri.
»Nein«, unterbrach ihn Matthias. »Das wissen wir.«
Er wollte nicht länger hier stehenbleiben. Er fühlte sich schutzlos.
Er drehte sich zu Tri um. »Muß ich den Auftrag jemand anderem erteilen?«
»Ich glaube nicht ans Töten«, murmelte Tri.
»Auch nicht in Kriegszeiten?« fragte Matthias.
»Es herrscht kein Krieg«, widersprach Tri.
»Vielleicht nicht in Constantia«, gab Matthias zu, »aber auf der Blauen Insel insgesamt schon. Ihr seid nur bis jetzt verschont geblieben, weil diese Gegend so abgeschieden ist.«
Tri holte zitternd Luft. Matthias wurde ungeduldig.
»Also, was ist?« fragte er. »Gehst du? Oder muß ich Denl schicken?«
»Denl werden sie nicht glauben«, gab Tri zu bedenken. »Er ist einer von deinen Leuten.«
»Also kommst nur du in Frage, nicht wahr?«
Tri schluckte. »Da hast du wohl recht.«
Matthias nickte knapp und folgte dem Pfad um eine scharfe Biegung. Denis und Jakibs Fackeln hinter ihm warfen Matthias’ Schatten auf die Spuren. Der Schatten war riesig und ließ Matthias in der Dunkelheit noch größer erscheinen, als er ohnehin war.
Vielleicht war es aber auch der Berg, der ihn größer machte. Matthias wußte es nicht genau.
Jetzt konnte er die fremde Anwesenheit fast sehen. Sie stand aufrecht. Matthias fühlte ihre Beunruhigung. Die fremde Anwesenheit hatte jetzt auch Matthias bemerkt.
Matthias setzte sich in Bewegung. Denl und Jakib versuchten, mit ihm Schritt zu halten, aber sie schafften es nicht, weil sie kürzere Beine hatten.
Matthias war sich ohnehin nicht sicher, ob er sie dabeihaben wollte. Er wollte der fremden Anwesenheit lieber allein gegenübertreten.
Der Pfad stieg steil an, und Matthias’ Waden schmerzten vor Anstrengung.
Als er die anderen hinter sich ließ, gewöhnten sich seine Augen allmählich an die Dunkelheit. Eine dritte, schwächer schimmernde Spur erschien und verschmolz mit den ersten beiden. Matthias blinzelte und hob den Kopf. Was er für eine Felswand gehalten hatte, war in Wirklichkeit ein seltsames Gebilde: mehrere Steinsäulen, die von einem flachen Sims überdacht wurden.
Die Anwesenheit befand sich zwischen diesen Säulen.
Der Boden um die Säulen herum war von den Spuren übersät, denen Matthias folgte. Aber sie führten noch weiter, hinauf zu dem lockenden Licht.
Matthias blieb mit zitternden Händen und stoßweisem Atem vor den Steinsäulen stehen.
»Ich fühle dich«, keuchte er. »Es hat keinen Zweck, sich zu verstecken.«
Hinter sich hörte er seine drei Gefährten den Pfad erklimmen. Hoffentlich hielt Tri sich an seine Anweisungen. Tri war ein unabhängiger Charakter. Das war früher zu Matthias’ Vorteil gewesen. Jetzt war sich Matthias da nicht mehr so sicher.
Denl war jetzt so nahe, daß seine Fackel einen Lichtkreis um sie beide warf.
Ein Mann trat in den Lichtkreis. Er war blond, hatte ein rundes Gesicht und blaue Augen.
Er war klein.
Sehr klein. So klein wie Tri. Matthias überragte ihn um Haupteslänge.
Der Mann war jung. Sein faltenloses, sanftes Gesicht glich dem eines Knaben. Nur die Augen waren die eines Mannes. Sie blickten unendlich traurig.
Die seltsame Anwesenheit ging von diesem Mann oder Jungen aus. Damit verbunden war eine Macht, die Matthias noch nie gespürt hatte.
»Du bist also der zweite«, stellte der Junge fest.
Matthias wußte nicht, was für eine Art Begrüßung er erwartet hatte, aber ganz sicher nicht diese. »Der zweite?«
»Ich habe dich mein Leben lang gefühlt«, fuhr der Junge fort. »Aber ich dachte, du seist ein Fey.«
Das nach all den Verhöhnungen in der Stadt, nach all dem Haß, der Matthias sein Leben lang entgegengeschlagen war.
»Ich bin kein Fey«, fauchte Matthias.
»Nein«, stimmte der Junge zu. »Du bist wie ich.«
Auch Jakib hatte sie jetzt
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