Fey 07: Die Augen des Roca
an ihn heran«, wandte sie ein. »Er wartet auf dich. In seinen Augen bist du ein würdiger Gegenspieler, und er rechnet damit, daß du es noch einmal versuchst. Er wird alles tun, um das zu verhindern.«
»Mir fällt schon etwas ein. Ich kenne Geheimgänge im Palast …«
»Die kennt er bestimmt auch bald, wenn er nicht schon jetzt Bescheid weiß.« Die Schamanin drehte sich ein wenig auf dem Felsen herum. Die dunklen Augen wirkten wie Löcher in ihrem Gesicht. »Nicholas, du weißt nicht, mit wem du es zu tun hast. Er beherrscht ganze Kontinente. Er ist der beste militärische Anführer, den die Fey seit Generationen gehabt haben, und wir sind ein Volk von Kriegern. Du hast beim ersten Mal Glück gehabt und ihn fast getötet. Aber eine solche Chance wirst du kein zweites Mal bekommen.«
»Hast du etwas Gesehen?« fragte Nicholas.
Sie starrte ihn an und schloß die Augen. »Ich habe so vieles Gesehen. Meistens Sehe ich den Tod.«
Nicholas schüttelte den Kopf. Der Tod war immer in ihrer Nähe. Arianna war jetzt seine Nachfolgerin. Sollte ihm etwas zustoßen, würde sie die Regierung übernehmen. Falls es noch etwas gab, worüber man regieren konnte. Dafür konnte man nur sorgen, indem man den Schwarzen König beseitigte.
»Ich kann versuchen, an ihn heranzukommen.« Nicholas blieb stur. »Schließlich bin ich dafür bekannt, daß ich manchmal erstaunlich viel Glück habe.«
»Das wirst du auch brauchen«, erwiderte die Schamanin. »Bestimmt hat der Schwarze König schon längst den Befehl für deine Hinrichtung gegeben.«
Dieser Gedanke schockierte Nicholas nicht. Er wußte es. Vielleicht konnte er sogar einen Vorteil aus diesem Befehl schlagen, wenn es sein mußte. Wie, wußte er allerdings nicht.
Noch nicht.
Ein scharrendes Geräusch ertönte hinter ihm. Nicholas drehte sich um. Seine Tochter stand im Höhleneingang. Sie war in eine Decke gewickelt, die ihre ungesunde Magerkeit nicht zu verbergen vermochte. Ihre feyhaften Gesichtszüge wirkten dadurch noch ernster als sonst. Früher hatte sie mehr von seinem etwas rundlicheren Gesicht gehabt, aber davon war nichts mehr zu sehen.
Nur die hellblauen Augen und die helle, leicht gebräunte Haut stammten von Nicholas. Noch nie war ihm aufgefallen, wie zerbrechlich sie durch den Kontrast zwischen der hellen Haut und dem dunklen Haar wirkte. Nicht einmal als Neugeborenes, das unfähig war, seine Gestalt zu behalten, war sie ihm so verletzlich vorgekommen.
»Papa kann nicht nahe an ihn herankommen, aber ich kann es«, äußerte Arianna. Ihre Stimme war voll Selbstvertrauen, aber in ihren Augen lag ein gequälter Ausdruck.
»Du kannst nicht in seine Nähe kommen«, erwiderte die Schamanin, ohne sich umzudrehen. Unverwandt blickte sie ins Tal hinab, als gäbe es in den Dörfern weit unten etwas Besonderes zu sehen.
»Doch, das kann ich«, widersprach Arianna. Früher hätte sie diesen Satz mit feurigem Temperament ausgesprochen. Nun lag nichts als ruhige Entschlossenheit in ihrer Stimme. »Ich kann aussehen wie hundert verschiedene Fey. Ich kann ihm ganz nahe kommen, und er wird nicht einmal wissen, daß ich da bin. Ich kann aussehen wie sein vertrautester Ratgeber.«
»Mit etwas Übung«, sagte Nicholas. Sein Herz zog sich zusammen. Er wollte sich nicht vorstellen, wie Arianna in die Nähe der Macht und der Versuchungen des Schwarzen Königs kam.
In die Nähe seiner Soldaten.
»Mit etwas Übung«, stimmte sie zu.
»Und was willst du dann tun, Kind? Mit ihm reden? Ihn dazu bewegen, daß er die Insel verläßt? Dich selbst als Opfer anbieten und vorgeben, mit ihm gemeinsame Sache zu machen, um die Blaue Insel zu retten?«
Ariannas Augen blitzten. Blau, leuchtend, unergründlich. »Ihn töten.«
»Das ist unmöglich«, sagte die Schamanin. »Dadurch forderst du den Fluch des Blutes heraus.«
»Daran glaube ich nicht«, fuhr Arianna auf. »Papa hat den Schwarzen König verletzt, und es ist nichts passiert.«
»Dein Vater hat ihn nicht getötet.«
»Außerdem betrachtet man mich vielleicht nicht als Träger des Schwarzen Blutes«, fügte Nicholas hinzu.
»Vielleicht doch«, wandte die Schamanin ein. »Unterschätze nicht die Mächte und Mysterien. In ihren Händen befindet sich der Schlüssel zu allen Geheimnissen.«
»Und die Mysterien sind unberechenbar«, sagte Arianna. »Ich könnte es doch trotzdem versuchen.«
»Du willst wirklich einen Krieg des Blutes riskieren?« fragte die Schamanin. »Immerhin besteht die Möglichkeit, daß du dich
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