Fey 07: Die Augen des Roca
entziehen. Andere vermuteten, die Inselbewohner hätten ein neuartiges Gift erfunden, das speziell bei kleinen Fey tödlich wirkte.
Ein übel verbrannter Infanterist behauptete sogar, Wirbler habe den Urenkel gestellt, und ein anderer Inselbewohner habe in einem Maisfeld alle beteiligten Fey mit Hilfe eines Feuerzaubers getötet.
Niemand schenkte seiner Geschichte Glauben. Derartige Macht besaßen die Inselbewohner nicht.
Trotzdem beunruhigte der Gedanke Feder um so mehr, je näher er dem Urenkel kam.
Es war so leicht, einen Irrlichtfänger zu töten. Einer von Feders Vorfahren war in einem Honigglas ertrunken. Einen anderen hatte die Katze gefressen.
Feder machte sich nur selbst verrückt. Über so etwas durfte er jetzt nicht nachdenken. Je näher er seiner Beute kam, um so vorsichtiger mußte er sein.
Er brauchte ja nicht ganz dicht heranzufliegen.
Alles, was er zu tun hatte, war, die Fliehenden aus sicherer Entfernung auszuspionieren und ihnen dann die Soldaten auf den Hals zu hetzen. Er selbst konnte verschwinden, bevor jemand merkte, daß er überhaupt dagewesen war.
Immerhin waren hier keine Spinnweben, tröstete er sich. Dieser Tunnel war sauber.
Schwacher Rauchgeruch mischte sich mit dem muffigen Dunst des Flußwassers. Entweder näherte sich Feder der Oberfläche und damit der Stadt, oder er befand sich kurz vor einem ausgeräucherten Tunnel. Aber da war noch ein anderer Geruch, der ihm einen Schauder über den Rücken jagte.
Verwesendes Fleisch.
Das hatte Feder seit den letzten Schlachten um Nye nicht mehr gerochen. Damals hatten sich die verzweifelten Nye tagelang bis tief in die Nacht verteidigt, während die Leichen ihrer Kameraden zu ihren Füßen verrotteten. Erst nach einer Woche Belagerung hatten sie sich ergeben. Tausende von Toten hatten tagelang in der sengenden Sonne gelegen.
Feder hatte damals geglaubt, er könne den Gestank nie vergessen. Er hatte sich zwingen müssen, etwas zu essen, weil der Geruch noch monatelang auf seiner Zunge klebte.
Mitten im Flug prallte er geradewegs gegen eine Mauer aus Gestank. Eine Mischung aus dem Geruch von verwesendem Fleisch, abgestandenem Rauch und Moder überwältigte ihn. Feder überschlug sich vor Schreck, fing sich wieder und schluckte krampfhaft, um den spärlichen Inhalt seines Magens bei sich zu behalten.
Gerüche waren immer besonders unerträglich, wenn er seine kleine Gestalt angenommen hatte.
Der Tunnel verbreiterte sich an dieser Stelle zu einem großen Raum. Leichen türmten sich vor der Türöffnung, die meisten schon mehrere Wochen alt. Der einzige Nebengang endete in einer Sackgasse. Feder konnte nicht ausweichen.
Er hielt sich in der Nähe der Decke, die winzige Hand auf Mund und Nase gepreßt. Die Toten waren Schwarzkittel. Plötzlich verstand Feder auch, warum es hier so roch.
Er mußte sich direkt unter dem heiligen Ort der Inselbewohner befinden, jenem Gebäude, das Rugad dem Erdboden gleichgemacht hatte. Das Tunnelsystem hatte ihn in eine fürchterliche Falle verwandelt. Die Schwarzkittel, die es bis zum anderen Flußufer geschafft hatten, hatten noch Glück gehabt – Feder staunte, daß überhaupt welche überlebt hatten.
Eine der Leichen im Durchgang sah so zerquetscht aus, als sei jemand auf sie getreten. Feder schwebte zu der Stelle, an der die Decke in die Wand überging, und versuchte, sein schwaches Licht abzuschirmen. Er spähte durch die Tür. Am anderen Ende des Ganges erblickte er Rugads Urenkel, der eine Kiste hinter sich herzerrte.
Der Urenkel hob langsam den Kopf, als spüre er etwas. Feder hielt den Atem an. Ein anderer Mann – eher ein Junge in einem schmutzigen, ehemals weißen Gewand trat aus einem Nebenraum. Auch er trug eine Kiste. Der Urenkel sagte etwas, und der andere schüttelte den Kopf.
Der Urenkel fühlte Feders Anwesenheit.
Langsam flog Feder rückwärts. Der Abschnitt des Tunnels, in dem sich die beiden jungen Männer aufhielten, schien viele Türen zu haben, aber dahinter lagen offenbar keine weiteren Gänge. Feder konnte sich jetzt nicht näher damit befassen. Aber wenn er schnell an die Oberfläche zurückflog, konnte er die Infanterie herunterschicken.
Dann konnte er den Urenkel des Schwarzen Königs fangen.
Feder hielt erst kurz vor dem Tunnel unter der Brücke an. Es mußte noch einen anderen Weg nach draußen geben. Einen Augenblick stand er mit schwirrenden Flügeln in der Luft und dachte nach.
Aber wenn es einen anderen Ausgang gab, hätten die Schwarzkittel ihn bestimmt
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