Fey 07: Die Augen des Roca
Welt. Ihr Gestein ist rot, und darum nennt man sie ›Blutklippen‹.«
Das alles war Rugad nicht neu. Er kannte die Geographie der Blauen Insel so gut wie seine Westentasche.
»Hast du ihn Gesehen?«
Boteen lächelte knapp. Nur ein einziger Zaubermeister in der Geschichte der Fey hatte jemals Visionäre Kraft besessen. Ein einziger. Jener Mann hatte vor sechshundert Jahren versucht, die Schwarze Familie zu stürzen.
Er war gescheitert.
Die Macht der Schwarzen Familie war größer, als die meisten ahnten. Sogar die meisten Zaubermeister.
»Ich habe ihn gefühlt«, erwiderte Boteen, dessen verkniffenes Lächeln seine Stimme angespannt klingen ließ. »Aber das ist noch nicht alles. Ich habe Spuren gefunden. Vielleicht begleitet er sogar deinen Urenkel, obwohl ich es bezweifle. Seine Energie hat sich auf der Brücke in Jahn mit der deines Urenkels vermischt. Erst habe ich deinen Urenkel durch den Zaubermeister gefühlt und bin dann geistig der Spur des Zaubermeisters bis zu den Blutklippen gefolgt.«
»Aber du bist ihm nicht wirklich dorthin gefolgt.«
»Ich hatte keine Zeit. Aber ich kann es nachholen, wenn du willst.«
Rugad schüttelte den Kopf. Er hatte bereits vorgehabt, einen Trupp Soldaten zu den Blutklippen zu schicken, um einige Veränderungen auf der Insel vorzunehmen.
Jetzt schien der richtige Zeitpunkt gekommen.
»Hast du nicht gesagt, da sei noch ein anderer?« erinnerte Rugad Boteen. »Wo ist der?«
Boteens Blick streifte Rugads nur flüchtig. »Ich habe Schwierigkeiten, ihn zu orten.«
»Ich dachte immer, Zaubermeister fühlten einander.«
»Das tun sie auch«, bestätigte Boteen, »jedenfalls bis zu einem gewissen Grade. Ich wußte, daß zwei von ihnen auf der Insel sind. Ich wußte nur nicht, wo. Jetzt habe ich immerhin den einen gefunden.«
»Aber nicht den anderen.« Rugad ignorierte die Schmerzen, die ihm das Sprechen verursachte. Dies hier war wichtiger.
»Den anderen nicht«, gab Boteen zu.
»Woher willst du dann wissen, daß du den richtigen gefunden hast?«
Boteen öffnete den Mund, schloß ihn wieder und seufzte. Nicht viele Leute konnten die Empfindungen deuten, die über sein Gesicht huschten. Rugad schon. Boteen holte tief Luft. »Eigentlich weiß ich es auch gar nicht.«
Rugad fühlte, wie er unwillkürlich enttäuscht die Schultern fallen ließ. Er hatte so gehofft, daß Boteen seiner Sache sicher war.
»Es ist etwas … Seltsames … an diesem … Zaubermeister«, sagte Boteen zögernd.
»Seltsames?« Rugad verschränkte die Hände hinter dem Rücken. In dieser Haltung konnte er sich besser konzentrieren. Außerdem spürte er seinen Kehlkopf dann weniger.
»Er haßt die Fey, und doch hat er Kontakt mit deinem Urenkel.«
»Du glaubst also, daß sie zusammen sind?« fragte Rugad.
»Ich weiß nicht genau«, erwiderte Boteen. »Ich halte es für unwahrscheinlich, und trotzdem ist es möglich.«
»Warum?«
»In jener Nacht, als Wirbler ihren König von deiner Ankunft unterrichtet hat, hatten die beiden auf der Brücke über den Fluß Kontakt. Das ist dieselbe Nacht, in der dein Urenkel die Stadt verlassen hat.«
»Du nimmst also an, daß sie die Stadt gemeinsam verlassen haben.«
»So könnte es gewesen sein. Der Zaubermeister wäre in jener Nacht beinahe gestorben, aber jemand hat ihn rechtzeitig gefunden.«
»Wirbler hat mir nicht berichtet, daß er meinen Urenkel zusammen mit einem Verletzten gesehen hat.«
»Wirbler hat auch nicht nach Inselbewohnern Ausschau gehalten.«
»Er hätte es mir erzählt, wenn mein Urenkel mit einem von ihnen zusammen wäre.«
»Vielleicht.«
»Warum sollte ein Inselzauberer, der die Fey haßt, sich mit meinem Urenkel zusammentun? Warum sollte er für ihn töten?«
»Er hat Fey für ihn getötet«, sagte Boteen leise.
Rugad faßte sich an die Kehle. Plötzlich war der Schmerz wieder da, scharf und heftig. Auch das Mädchen hatte die Bereitschaft gezeigt, Fey zu töten. Hatte der Vater mehr Einfluß auf den Jungen, als Rugad dachte?
Rugad schluckte, wobei er sich an die Entspannungstechniken erinnerte, die der Heiler ihm beigebracht hatte. Der Schmerz ließ nach. »Ich dachte, mein Urenkel sei von Fey aufgezogen worden.«
»Von Versagern«, gab Boteen zurück. »Wer weiß, was sie ihm für den Fall beigebracht haben, daß die echten Fey zurückkehren.«
Das war ein Argument. Aber Rugad war noch nicht überzeugt.
»Ich will, daß du den zweiten Zaubermeister findest«, befahl er. »Ich schicke einige Leute zu den Blutklippen.
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