Fey 08: Im Zeichen der Schwerter
Freude hatte Arianna schon lange nicht mehr verspürt. Sebastians Freude. Gerade streckte ihr Bruder die Arme nach ihr aus, als ihr Urgroßvater sich wieder aufrappelte. Er stürzte sich auf Sebastian und wollte ihn in Richtung Tür drängen, aber Sebastian hielt ihm stand. Hier, an diesem Ort, bewegte sich Sebastian auf einmal flink und geschickt. Seine Sprache war nicht mehr stammelnd, seine Bewegungen nicht mehr zögernd. Er schien genau zu wissen, was er zu tun hatte.
Als sei er dafür geboren, an einem Ort wie diesem zu leben.
Hilf mir, Ari, rief er. Hilf mir, dir zu helfen.
Arianna rannte auf ihn zu und zerrte von hinten an den Schultern ihres Urgroßvaters. Sebastian stieß ihn im gleichen Augenblick vor die Brust, so daß Rugad taumelte und auf Arianna landete.
Arianna fühlte, wie die Luft aus ihrem Brustkorb entwich, bis sie sich erinnerte, daß sie ja gar keinen hatte. Sie wälzte Rugad von sich herunter, und Sebastian stand über ihm und hielt ihn einen kurzen Moment lang nieder.
Du lebst, stellte Arianna fest. Wo bist du?
Bei ihm, antwortete Sebastian. Rugad packte seinen Fuß und zog daran, aber Sebastian blieb unerschütterlich stehen. Ari, wenn du mich findest, denk daran, daß Con weiß, was zu tun ist.
Con?
Er hat mich gerettet. Und damit packte Sebastian ihren Urgroßvater und stieß ihn durch die Tür.
Mach sie zu! brüllte Sebastian. Arianna fühlte, wie er davonschwebte. Er hatte sie gerettet. Er hatte gewußt, was getan werden mußte. An diesem Ort war Sebastian klüger und lebendiger als Arianna selbst.
Aber ihr Urgroßvater war verschlagen und sehr mächtig. Wie auch immer Sebastian sich hier drinnen verhielt, er war vielleicht trotzdem nicht in der Lage, Rugad zu überlisten. Arianna spähte durch den Türspalt. Sie konnte die beiden nicht sehen, nur fühlen, wie sie miteinander kämpften.
Das einzige, was sie sehen konnte, war Licht. Vielfarbiges Licht, das sich zu einem Tunnel formte. Diesen Weg mußte Sebastian gekommen sein, und Rugad auch. Dieser Tunnel war ein Teil von Arianna, von dessen Existenz sie bisher keine Ahnung gehabt hatte. Wie hatte ihr Urgroßvater es genannt? Eine Verbindung.
Sie mußte noch andere besitzen. Andere Verbindungen. Durch sie konnten Leute in ihr Inneres eindringen.
Wieso hatte Sebastian das gewußt und sie nicht?
Dann erinnerte Arianna sich an ihre erste Begegnung mit Gabe, der mit leeren Augen neben Sebastian gestanden hatte. Die beiden hatten sich mit Hilfe ihrer Verbindung unterhalten.
Das hatte Arianna aus dem geschlossen, was ihr Sebastian an jenem schrecklichen Tag im Turmzimmer erzählt hatte, an dem die Fey Jahn niederbrannten.
Ich … bin … ganz … allein, hatte Sebastian bekümmert gesagt.
Das stimmt nicht, ich bin doch bei dir, hatte Arianna ihn berichtigt.
Aber … nicht … innendrin.
Nicht innendrin.
Gabe und Sebastian hatten von Anfang an etwas gemeinsam gehabt.
Aber dann hatte jemand ihre Verbindung unterbrochen. Sebastian hatte behauptet, einen Augenblick lang habe er sogar vier Gegenwarten in seinem Inneren gefühlt.
Ich … selbst … Gabe … und … zwei … andere. Eine … mächtige … Gegenwart … und … dann … noch … der… Zerschneider.
Eine mächtige Gegenwart. Ihr Urgroßvater?
Und jemand, der die Verbindung durchtrennt hatte. War es das, was Sebastian von ihr wollte? Daß sie die Tür schloß?
Aber wenn sie selbst durch die Tür trat und der Verbindung folgte, fand sie ihren Bruder wieder, den Bruder ihres Herzens, und ihren Urgroßvater noch dazu.
Vielleicht konnte sie Rugad dann ein für allemal das Handwerk legen.
Vielleicht konnte sie ihn überrumpeln und mit Sebastians Hilfe überwältigen.
Ohne den Fluch des Schwarzen Blutes herauszufordern.
Vielleicht.
Es war den Versuch wert.
Arianna trat in den Tunnel aus Licht und hoffte, daß sie die richtige Entscheidung getroffen hatte.
12
Der Golem wußte also, wie man eine Verbindung bereiste und benutzte. Der geistige Griff des Geschöpfs war so kräftig, daß er sich sogar für Rugad wirklich anfühlte. Wie sehr Rugad sich auch wehrte, er schien sich nicht losreißen zu können.
Der Golem hielt Rugads Vorstellungskraft, sein wahres Ich gefangen, und das beunruhigte Rugad.
Zweimal hatten ihn der Golem und das Mädchen jetzt schon überlistet.
Rugad wehrte sich mit aller Kraft, aber der Golem zerrte ihn unerbittlich weiter. Auf halber Strecke merkte Rugad endlich, was das Geschöpf vorhatte. Sie reisten in der Verbindung des
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