Fey 08: Im Zeichen der Schwerter
hinaufführte. Ihre Stufen waren alt und ausgetreten, aber Adrian bezweifelte, daß sie in letzter Zeit benutzt worden waren. Erdrutsche hatten kleine und große Felsbrocken auf den Stufen hinterlassen. Adrian war dankbar, daß er im bleichen Morgenlicht wenigstens erkennen konnte, wohin er seine Füße setzte.
Im Dunkeln hätte er sich vielleicht verletzt.
Coulter stieg so mühelos über die Felsen, als seien sie gar nicht vorhanden. Adrian dagegen mußte sich anstrengen. Seine Hände waren von der Arbeit im Steinbruch so wund, daß er sich kaum festhalten konnte. Er überlegte, ob er Coulter um Hilfe bitten sollte, aber er tat es nicht. Solange er Coulter vor sich sah, spielte sein eigenes Wohlbefinden keine Rolle.
Es war wichtiger, Gabe zu Hilfe zu eilen, ob Gabe darauf nun Wert legte oder nicht.
Inzwischen hatte Adrian die ersten Ausläufer der Schneedecke erreicht. Die Felsen waren hier noch glatter, aber die kühle Luft strich wohltuend über Adrians erhitztes Gesicht. Während des Kampfs mit den Feuerbällen war Adrian ganz heiß geworden, und er erholte sich erst jetzt allmählich.
Coulter hatte die oberste Stufe erreicht und blieb auf einmal reglos auf einer flachen Plattform stehen, als sähe er etwas, das ihn am Weitergehen hinderte.
Adrians Mund wurde trocken.
Ohne auf die rutschige Oberfläche oder seine wunden Hände zu achten, kletterte er über die letzten Felsen. Als er den letzten Brocken erklomm, drehte Coulter sich um, packte Adrians Handgelenk und zog ihn zu sich auf die Plattform.
Diese bestand aus mehreren flachen Steinplatten, die genau wie die Stufen ganz offensichtlich von Menschenhand zusammengefügt waren.
»Stimmt etwas nicht?« fragte Adrian.
Coulter zeigte nach vorn.
Adrian folgte seinem Finger mit dem Blick.
In der Felswand öffnete sich eine Höhle, deren Eingang auf den ersten Blick genauso abgerundet war wie der aller Höhlen. Trotzdem wirkte auch er wie von Menschenhand geschaffen. Bei genauerem Hinsehen erkannte Adrian einige schärfere, vom Zahn der Zeit nicht abgeschliffene Kanten.
Irgend jemand hatte sich die Mühe gemacht, diese Öffnung aus dem Berg zu schlagen.
Doch nicht das hatte Coulters Aufmerksamkeit erregt.
Es waren die Schwerter.
Sie waren in den Stein gemeißelt. Zwei von ihnen staken mit der Spitze nach unten im ebenen Felsgestein. Zwei weitere ragten aus dem Eingang der Höhle, die Knäufe in der Luft. Sie sahen aus wie die Waffen von Riesen, die hier zurückgelassen worden waren und auf die Rückkehr ihrer Besitzer warteten.
Aber Adrian erkannte die Verzierungen auf den Knäufen sofort wieder. Die Ornamente waren ihm seit seiner Kindheit vertraut.
Das waren keine gewöhnlichen Waffen.
Diese Schwerter gehörten den Rocaanisten.
Coulters Finger wies höher hinauf.
Direkt über dem Höhleneingang befand sich ein fünftes Schwert. Auch seine Spitze zeigte zu Boden, und auch dieses Schwert schien fest mit dem Felsen verbunden zu sein. Es erinnerte Adrian an das Schwert in der Hauptkapelle des Tabernakels, in der man den Tag der Aufnahme des Roca feierte. Adrian hatte diesen Gottesdienst als Kind einige Male besucht, als Erwachsener nicht mehr. Er haßte den Anblick des von der Decke schwebenden Schwertes, als könnte die Hand Gottes die Waffe jeden Augenblick ergreifen, um einen Unseligen zu töten, dem es an wahrem Glauben mangelte.
»Was ist das für ein Ort?« fragte Coulter.
»Ich weiß nicht«, erwiderte Adrian. Er hatte noch nie davon gehört. Nicht, daß er besonders religiös war, aber er hatte gedacht, alle heiligen Orte der Insel zu kennen. »Wie hast du ihn gefunden?«
»Er hat die Dunkelheit zurückgeworfen«, erklärte Coulter.
Adrian fragte nicht weiter. Offenbar hatte Coulter die Höhle mittels der Kraft der Vision erblickt, die Adrian fehlte. Die magische Kraft der Vision.
»Ist Gabe etwa dort drinnen?«
»Wenn ja, hat er entschieden mehr Mut als ich«, gab Coulter zurück.
Plötzlich fröstelte es Adrian. »Du glaubst doch nicht, daß er getötet wurde, als er hineingegangen ist?«
»Ich weiß nicht, was ich glaube«, entgegnete Coulter. »Ich kann die Gegenwart dieses Ortes fühlen, und so etwas habe ich noch nie gefühlt. Die Gegenwart von Menschen schon. Aber noch nie die eines Ortes.«
Adrian hatte längst gelernt aufzuhorchen, wenn Coulter diese Art von rätselhaften Bemerkungen fallenließ.
»Was für Menschen können so etwas fühlen?«
»Die meisten Fey«, antwortete Coulter. »Dieser Rocaan … Matthias heißt
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