Fey 08: Im Zeichen der Schwerter
Sie sah nicht aus wie damals, als sie aus dem Krönungssaal getragen werden mußte, damals, als Brandgeruch aus ihrem Haar aufgestiegen war.
Vor Matthias’ Augen tanzten schwarze Flecken. Um Gnade betteln? Eine zweite Chance bekommen? Jene Tat ungeschehen machen, derentwegen ihn Nicholas vor vielen Jahren beinahe umgebracht hätte?
Matthias nickte kurz.
Die Frau lockerte ihren Griff gerade so weit, daß er hastig Luft holen konnte. Matthias hatte das Gefühl, daß Leben in seine Lungen zurückkehrte. Er keuchte ein-, zwei-, dreimal. Die schwarzen Flecken waren verschwunden, aber der Schmerz in seiner Brust war noch da. Er fühlte sich benommen.
»Jewel!« stieß er hervor, obwohl er wußte, wie lächerlich das war. Sie war tot. Er hatte sie umgebracht. Absichtlich, was auch immer er Nicholas gegenüber behauptet hatte. Matthias hatte sie getötet, weil er sie für einen Abkömmling des Bösen hielt, weil sie mit ihrem Blut sein Volk verseucht und die Erbfolge des Roca unterbrochen hatte. Weil ihre Kinder den Thron erben würden, wenn Matthias es nicht verhinderte.
»Gottes Wille« hatte er es genannt.
War es das?
Wie konnte es Gottes Wille sein, wenn er, Matthias, Dämonenbrut war?
Und wenn nicht?
Jewel hielt den Kopf ein bißchen schief und folgte mit ihren braunen Augen jeder seiner Bewegungen. Matthias spürte ihren Atem auf seinem Gesicht. Wie konnte sie am Leben sein? Noch dazu jünger, als er sie in Erinnerung hatte.
»Bringst du’s nicht über die Lippen, Heiliger Mann?« spottete sie, aber ihre Finger packten nicht fester zu.
»Jewel«, wiederholte Matthias. »Es tut mir leid. Bitte laß mich los. Ich wußte ja nicht …«
Ihre Finger krallten sich in seinen Nacken, drückten seinen Adamsapfel ein und brachten ihn zum Würgen. Matthias versuchte zu husten und fühlte einen brennenden Schmerz, als sich seine Halsmuskeln unter ihrem Griff spannten.
»Du bringst es nicht fertig, was, Heiliger Mann?« Ihr Gesicht kam so nahe, daß sich ihre Nasenspitzen fast berührten. »Du bringst es nicht über dich, mich um Verzeihung zu bitten. Ich dachte, nach all diesen Jahren, nachdem du gemerkt hast, was du getan hast, und dir klargeworden ist, wer du eigentlich bist, täte es dir vielleicht leid. Zutiefst leid. Aber da habe ich mich wohl geirrt.«
Matthias zerkratzte ihr das Handgelenk, fuchtelte mit dem Arm, den sie festhielt, und warf sich nach hinten. Sein Kopf dröhnte, und der Schmerz in seiner Brust hatte sich in ein Brennen verwandelt. Es fühlte sich an, als stünde sein ganzer Brustkorb in Flammen, und er konnte nichts dagegen tun.
Auch die schwarzen Flecken waren wieder da und wurden immer größer.
»Es tut mir leid«, formten seine Lippen, aber kein Laut drang aus seiner Kehle.
Jewel verstand ihn trotzdem. »Du hast gesagt: ›Es tut mir leid. Bitte laß mich los.‹ Mich, Matthias. Mich, mich, mich. Du denkst immer nur an dich. Du hast eine Ehe zerstört, beinahe ein Neugeborenes getötet und durch diese Taten eine ganze Kultur zerstört, Hunderten, vielleicht sogar Tausenden Menschen den Tod gebracht. ›Es tut mir leid‹, sagst du. ›Es tut mir leid. Bitte laß mich los.‹«
Diesmal drückte sie ihre Nase gegen seine.
»Ich lasse dich nie mehr los«, flüsterte sie. »Die Mächte haben dich mir versprochen, und jetzt habe ich dich endlich in meiner Gewalt. Nie mehr lasse ich dich los.«
Der Druck ihrer Finger wurde stärker. Vor Schmerz schossen Matthias die Tränen in die Augen. Er wehrte sich noch, aber seine Kraft versiegte. Er fühlte, wie das Leben aus ihm wich.
Ihr besitzt große Magie, heiliger Mann.
Aber diesmal war dieser Satz nur eine Erinnerung, keine Ermutigung. Matthias fand keinen Weg, sich mit Hilfe seiner Zauberkraft zu verteidigen.
Mit letzter Kraft versuchte er, sich zu befreien …
… aber Jewel rührte sich nicht.
Es war vergeblich.
»Bitte«, wollte er sagen, aber er blieb stumm.
Bitte, dachte er.
Bitte. Hör auf.
Aber sie hörte nicht auf. Ihm wurde endgültig schwarz vor den Augen. Der Schmerz ließ nach, und er stürzte rückwärts in sein eigenes Inneres.
In die Dunkelheit, die auf ihn wartete.
Jetzt konnte sie ihn töten.
Konnte sich an ihm rächen.
Sie hatte es sich verdient.
Das hatte er immer gewußt.
Sie hatte es sich wahrhaftig verdient.
31
Seine Mutter hatte eben noch mit ihm gesprochen. Gerade hatte er sie gefragt, was er tun sollte, um seine Schwester zu retten, als sie plötzlich wie lauschend den Kopf schief legte.
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