Fey 08: Im Zeichen der Schwerter
Ihr Gesicht nahm einen furchterregenden Ausdruck an, lauernd, zornig und haßerfüllt zugleich, und dann war sie die Stufen hinaufgerannt, so schnell, daß er nicht mit ihr hatte Schritt halten können.
Gabe war ihr, ohne lange zu überlegen, einfach gefolgt, als sei sie vor ihm geflohen. Vielleicht traf aber auch seine Schwester gerade ein. Vielleicht mußte seine Mutter ihr helfen, die Höhle zu finden.
Auch Coulter starrte Jewel hinterher, aber auf seinem Gesicht zeichnete sich keine Verwirrung ab.
Sondern nackte Angst.
»Was ist los?« fragte die Rotkappe.
»Er ist hier«, erwiderte Coulter grimmig.
Gabe warf ihm einen überraschten Blick zu. Er? Bestimmt nicht Gabes Vater. Über ihn würde Coulter sicher nicht in solchem Ton sprechen.
»Der Rocaan?« fragte Adrian.
»Ja«, bestätigte Coulter.
Gabe lief es eiskalt den Rücken herunter. Jener Mann, der von den Toten auferstanden war … den Leen und er jedenfalls für tot gehalten hatten. Dort draußen.
Während seine Schwester jeden Moment eintreffen konnte.
Seine Schwester. Die Halbfey.
Und seine Mutter war die Treppe hinaufgestürzt und nicht mehr zu sehen.
Plötzlich stieß draußen vor der Höhle eine Männerstimme einen abgerissenen Schrei aus. Es klang, als habe jemand dem Schreienden überraschend die Kehle zugedrückt.
Gabe hastete die Treppe hinauf. Fledderer streckte die Hand aus, hielt ihn aber nicht zurück. Coulter holte Gabe ein. Auch Leen folgte ihnen mit angespannter Miene.
Adrian und die Rotkappe blieben am Fuß der Treppe zurück. Gabe sah noch, wie Fledderer Adrian ein Schwert aus seinem Waffengürtel reichte, dann kümmerte er sich nicht mehr um die beiden.
Vor der Höhle war es hell. Ohne daß Gabe es gemerkt hatte, war es Morgen geworden.
Seine Mutter stand auf der Schwelle der Höhle, die Hand um die Kehle des Mannes, der sie ermordet hatte. Mit der anderen Hand hielt sie ihn auf Abstand. Sein Gesicht war puterrot, die Augen quollen ihm aus den Höhlen, und seine Lippen bewegten sich tonlos.
»Mein Gott«, flüsterte Leen entsetzt. »Was ist das? Was ist mit ihm los?«
Da erst fiel Gabe wieder ein, daß Leen seine Mutter nicht sehen konnte. Leen sah nur den nach Luft schnappenden Mörder seiner Mutter, der eine Hand in die Luft streckte, die eigentlich das Handgelenk seiner Angreiferin umklammerte.
Wie seltsam das aussehen mußte.
Wie erschreckend.
»Sie tötet ihn«, erklärte Gabe.
»Wer?« fragte jemand hinter ihm. Gabe drehte sich um und erblickte Adrian.
»Meine Mutter«, sagte Gabe.
Adrian spähte mit gezücktem Schwert über Gabes Schulter. Er wirkte nicht aufgeregt, eher verblüfft, besorgt, fast verängstigt.
Gabe trat einen Schritt auf seine Mutter zu, aber Coulter legte ihm die Hand auf den Arm. »Wenn sie ihn töten will, laß sie«, mahnte er. »Das geht nur die beiden etwas an.«
Gabe wollte seine Mutter nicht daran hindern. Er hatte ihr helfen wollen. Aber als er näher trat, fiel ihm etwas auf: Die Gefährten des Rocaan standen hinter ihm und beobachteten das Geschehen genauso verängstigt wie Leen. Wahrscheinlich nahmen sie an, daß Matthias im Bann einer starken Zauberkraft stand …
Vielleicht hatten sie ja recht.
Die Lippen des Rocaan bewegten sich, formten Worte. Bitte, sagte er in Inselsprache. Bitte.
Gabes Mutter schien sich nicht darum zu kümmern. Im Gegenteil – das Ganze schien ihr Spaß zu machen. Plötzlich sackte der Körper des Rocaan zusammen. Gabes Mutter rührte sich nicht. Immer noch umklammerte ihre Hand die Gurgel des Mannes und hielt ihn aufrecht. Sie sah aus wie eine Katze, die mit einem längst toten Vogel spielt. Sie würde den Rocaan nicht eher loslassen, bis der letzte Hauch von Leben aus ihm gewichen war.
Während er sie so beobachtete, wurde sie Gabe immer fremder. So hatte er sich seine Mutter nicht vorgestellt. So etwas hatte er von ihr nicht erwartet. Er hatte immer geglaubt, sie sei eine gute Frau, eine Frau, die keine Grausamkeit kannte.
Wie war er bloß darauf gekommen?
Sie war eine Fey.
Plötzlich wanderte Coulters Blick hinter Jewel und Matthias, als sähe er dort noch etwas anderes.
Adrian war das nicht entgangen. Er trat neben Coulter und fragte leise: »Was ist? Was siehst du?«
»Nichts«, wich Coulter aus.
»Etwas hat sich verändert«, beharrte Adrian. »Ich sehe es an deinem Gesicht.«
Coulter sah Adrian mit ausdruckslosem Blick an. Auch Gabe fühlte etwas. Sosehr er auch versuchte, sich von Coulter fernzuhalten, er konnte den Bund, den sie
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