Fey 10: Das Seelenglas
Coulter von deinem Blut sein?«
Der Mann sah zur Seite. »Nennen denn heutzutage die Menschen ihre Kinder nicht mehr nach den Menschen, die sie für ihre engsten Freunde halten?«
Die Frage blieb in der Luft stehen und enthüllte Fragmente einer Geschichte, die ganz zu erfahren Nicholas jetzt nicht die Zeit hatte. Er sah Matthias an.
»Bist du bereit?«
Matthias nickte und ging los, auf den Eingang der Höhle zu. Coulter schien nicht einmal zu bemerken, daß die beiden Männer an ihm vorbeigingen. Wie es der Führer zuvor gesagt hatte, erkannte Nicholas, daß es für Coulter das Beste war, an Ort und Stelle zu bleiben. Nicholas konnte ihm nicht helfen. Zumindest jetzt nicht.
Matthias blieb ein Stück hinter dem Höhleneingang stehen, so wie es der Führer verlangt hatte, und sah auf die fünf Schwerter, die den Eingang einrahmten. Zwei von ihnen standen bereits in Position, und Nicholas hatte schon vor dem ersten Angriff befohlen, die Juwelen zu reinigen. Die anderen drei mußte Matthias bewegen.
»Ich habe noch nie etwas Derartiges getan«, flüsterte er.
»Soweit ich weiß«, knurrte Nicholas, »hat das noch niemand getan, jedenfalls seit fünfzig Generationen nicht.«
Er wandte sich um Bestätigung an den Führer, aber der Mann war verschwunden. Nicholas lief es kalt über den Rücken. Jetzt waren sie beide ganz auf sich allein gestellt, dazu bestimmt, so gut es ging zusammenzuarbeiten.
Matthias hob die Arme und schloß die Augen. Ein heller, heftiger Lichtstrahl dehnte sich von ihm bis zu dem Schwert, das waagerecht aus der rechten Höhlenwand ragte. Das Schwert zitterte, als es vom Licht umfangen wurde, Steinchen rieselten auf den Boden wie Hagelkörner. Matthias wurde vor Anstrengung ganz rot im Gesicht.
Nicholas biß sich auf die Lippe. Es mußte funktionieren. Es mußte einfach funktionieren. Die einzige Möglichkeit, die ihnen sonst noch blieb, war selbstmörderisch – eine Entscheidung, die niemand überleben würde.
Das Schwert vibrierte noch immer und gab dabei einen leisen, klingenden Ton von sich. Schmutz platzte ab und gab die Klinge frei. Nicholas sah, daß sie zu den anderen Schwertern in der Höhle paßte. Das Licht bewegte sich an der Klinge entlang, wand sich um den Griff und löste auch dort den Schmutz ab. Jahrhundertealter Dreck und Staub türmten sich darunter zu einem ansehnlichen Haufen auf. Das Schwert wirkte jetzt schmaler als ursprünglich angenommen, obwohl es immer noch riesenhaft war; nicht mehr das klobige Schwert ohne jede Finesse, sondern eine elegante Waffe.
Schweiß rann über Matthias’ Gesicht. Nicholas schmeckte Blut und hörte auf, sich auf die Lippe zu beißen. Gedankenverloren leckte er an der Wunde, die seine Zähne gebohrt hatten, und konzentrierte sich auf das Schwert, als könnte er Matthias dabei helfen, es aus der Wand zu lösen.
Das Licht um den Griff bildete eine Hand. Ihre Finger rieben die Juwelen blank, bis sie hell funkelten. Die Handfläche legte sich um den gedrechselten Griff, als sei er eigens für sie geschaffen worden. Die Hand zog, und das Schwert kam frei.
Es taumelte einen Moment in der Luft, wackelte hin und her, als hielte es ein Mann, der noch nie zuvor eine Waffe geführt hatte.
Matthias schlug die Augen auf. Tränen rannen aus ihren Winkeln. Er bewegte seine eigenen Hände, und das Schwert bewegte sich schwebend in eine andere Position. Dann drehte er die Handflächen nach unten, und das Schwert drehte sich, beinahe gleichzeitig, von der Waagerechten in die Lotrechte und landete mit der Spitze nach unten im Höhlenboden.
Es bohrte sich mit einer derartigen Wucht hinein, daß die gesamte Höhle erschüttert wurde. Das dazugehörige Geräusch hörte sich wie eine Explosion an. Mehrere Schwerter rutschten von der Wand und fielen zu Boden. Einige verfehlten Coulter nur knapp, doch der Junge rührte sich nicht vom Fleck. Steine fielen von der Decke. Nicholas sah nach oben. Ein schmaler Riß zog sich vom Eingang bis zum Brunnen.
Das Schwert befand sich immer noch an Ort und Stelle. Sein Griff vibrierte von der Wucht des Aufpralls, aber das Licht war verschwunden. Matthias torkelte seitwärts, die Hände vors Gesicht geschlagen.
»Ich kann das nicht noch einmal tun«, sagte er.
»Du mußt«, erwiderte Nicholas. »Zweimal noch.«
»Dann bleibt nichts mehr, keine Kraft, nichts«, antwortete Matthias durch die geschlossenen Hände. Seine Stimme wurde vor Angst immer höher.
Nicholas blickte auf die drei Schwerter. Die beiden äußeren
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