Fey 10: Das Seelenglas
es sehr steil, was sich auch im dem Schattenland widerspiegelte, das schräg gegen den Hang geneigt stand, um diejenigen, die sich darin aufhielten, vor den Elementen zu schützen.
Als wäre der Schutz jetzt noch nötig. Er war zu spät gekommen.
»Bring sie her«, knurrte Rugad nach schräg hinten zu Selia. Er sah, wie sie den Überlebenden ein Zeichen gab, dann ging er weiter, stieg über Leichen, ging um sie herum und wenn nötig auch über sie hinweg.
Sein Plan war einfach. Er würde mit Unterstützung seines Schildes und seiner Soldaten in den Ort der Macht einmarschieren. Wenn Nicholas angriff, würde Rugad die Attacke abwehren. Es konnten nur eine Handvoll Leute bei Nicholas sein, und mindestens einer von ihnen war tot. Selbst wenn Nicholas versuchte, eine andere Waffe ins Feld zu führen, mußte ihm das unweigerlich mißlingen.
Nicholas würde für jeden einzelnen toten Fey bezahlen. Die Leichen entmutigten Rugad nicht, im Gegenteil, sie ermutigten ihn geradezu. Und sie gaben ihm einen Hoffnungsschimmer. Wenn sowohl Nicholas als auch Jewel über derlei Fähigkeiten verfügten, dann mußten seine beiden Urenkel mehr als Visionäre und Gestaltwandler sein. Sie waren mit einem angeborenen taktischen Genie ausgestattet. Sie waren alles, was er sich für den Schwarzen Thron nur wünschen konnte – und mehr.
Sie waren diese ganze Schlächterei wert.
Entschlossenen Schrittes marschierte er über das Schlachtfeld. Noch einmal blickte er nach hinten und sah, daß Selia Mühe hatte, mit ihm Schritt zu halten; der Rest der Truppe war schon deutlich zurückgefallen.
»Laß sie ihm Laufschritt marschieren!« blaffte er. Er wußte nicht, was Nicholas im Schilde führte, aber er wollte die Höhle erreichen, bevor er damit anfangen konnte.
Rugad erreichte die Wand dieses letzten Schattenlandes kurz vor seiner Truppe. Er schuf einen zweiten Torkreis und ließ ihn offen, da es im Inneren keine Überlebenden gab, die es zu schützen galt. Vor ihm lagen noch mehr Tote. Die Fey, die es beinahe bis oben geschafft hatten, die die Insel beinahe komplett dem Imperium einverleibt hätten.
Sie lagen kreuz und quer im Sonnenlicht, genau wie ihre Kameraden im Schattenland, nur war hier das Ausmaß der Verwüstung noch schrecklicher.
Rugad sagte nichts. Wortlos betrat er den kahlen Boden. Hier war es kälter, der Gestank war nicht so aufdringlich. Der Pfad war teilweise von Schnee bedeckt und wand sich immer noch höher. Rugad erblickte die zerbrochenen Stufen, die zum Plateau hinaufführten und damit zum Ort der Macht.
Das Ziel lag dicht vor seinen Augen.
Er wandte sich um. Seine Truppe hatte aufgeschlossen. »Wir haben es gleich geschafft«, sagte er. »Macht euch bereit, unsere gefallenen Kameraden zu rächen.«
Das rief mehr Kampfgeist bei den Fußsoldaten hervor als Selias geziertes Lächeln. Rugad spürte, wie der Blutrausch erneut von seinen Soldaten Besitz ergriff. Es brauchte nicht viel, um sie zum Angriff zu bewegen. Wenn überhaupt, so mußte er sie eher daran erinnern, vorsichtig zu Werke zu gehen, sich davor zu hüten, seine Urenkel zu töten.
Auch in ihm wallte Blutdurst auf. Er wollte Nicholas eigenhändig töten, den Mann so, wie er es verdiente, in Stücke hauen. Ebenbürtiger Feind oder nicht, der Mann hatte zu viele Fey auf dem Gewissen, um eines würdigen Todes zu sterben.
Rugad hielt seinen Schattenlandschild vor sich, vergrößerte ihn so weit in die Höhe und Breite, wie es nötig war, um seine Truppe zu schützen, und machte sich an den letzten Aufstieg.
46
Der Boden bebte, als das letzte Schwert vor dem Höhleneingang herunterfiel. Mit einem gewaltigen Donnerschlag hörte die Klinge zu vibrieren auf.
Nicholas atmete flach. Diesmal hatte sogar Coulter den Lärm wahrgenommen. Er blickte Nicholas fragend an, und zum ersten Mal nach Adrians Tod hatte Nicholas den Eindruck, daß der Junge ihn tatsächlich sah.
»Geh zur Seite«, sagte Nicholas, aber im verklingenden Donnergrollen hörte er seine eigenen Worte nicht.
Offensichtlich konnte Coulter Lippen lesen, denn er nahm Adrian fest in die Arme und zog ihn weiter in die Höhle hinein. In diesem Augenblick verlosch das Licht zwischen Matthias und dem letzten Schwert.
Matthias wäre gestürzt, hätte Nicholas ihn nicht aufgefangen.
Matthias wog noch weniger als Nicholas, obwohl er viel größer war. Sein ausgemergelter Körper war von oben bis unten schweißgebadet. Die frischen Narben auf den Wangen und rund um die Augen waren fahl,
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