Fey 10: Das Seelenglas
Erschaffung?«
»Mein Plan vernichtet nur das, was zwischen dem Höhleneingang und dem Fluß steht. Der deine vernichtet viel, viel mehr.«
Und konnte immer noch zum Einsatz kommen, falls sich der Plan des Mannes als unwirksam erwies. Nicholas schluckte. Seine trockene Kehle tat ihm weh. Er sah zu Matthias hinüber. »Bist du willens, es auszuprobieren?«
»Ich habe die Worte gelesen«, erwiderte Matthias leise. »Die echten Worte, die in einem Gewölbe unter Constantia versteckt sind. Was er sagt, erklärt so einiges, was mir vorher noch schleierhaft gewesen ist.«
Matthias sah auf den Mann herab. Nicholas fiel Matthias’ zurückhaltendes Verhalten hinsichtlich des Mannes auf, als wüßte auch er nicht genau, was er von ihm halten sollte.
»Du hast das doch schon einmal getan, oder?« wollte Matthias wissen.
Der Mann lächelte. Seine Augen tanzten vor einer inneren Freude, die Nicholas erschauern ließ, wenn man bedachte, daß sie hier von einer Macht redeten, die sehr viele Menschen töten konnte.
»Einmal, ja«, antwortete der Mann.
»Einmal«, wiederholte Matthias, und in dem einen Wort hörte Nicholas den Tonfall eines Mannes, den er seit zwanzig Jahren nicht mehr gehört hatte. Den Tonfall des Gelehrten, der seinen Vater in regnerischen Nächten besucht hatte. Des Mannes, der dem Knaben Nicholas das Wesen der Religion hatte beibringen sollen. Des Mannes, der sich Gedanken über so esoterische Dinge wie Ethik und Moral gemacht hatte.
Matthias gefiel der Plan nicht besser als Nicholas, und er hatte noch weniger Gründe, ihn zu befolgen. Seine Kinder waren nicht hier verborgen. Aber er wußte, wie man mit den Gerätschaften in der Höhle umging. Das könnte später zu einem Problem werden.
»Wenn wir es tun wollen, mußt du damit anfangen«, sagte Nicholas.
»Aber dann müssen wir beide gemeinsam weitermachen«, erwiderte Matthias. Er sah Nicholas an. Seine Augen standen leicht schräg, da die Wunden auf der einen Gesichtshälfte die Haut herabzogen. Abgesehen von diesen Wunde hatte er das Gesicht eines Asketen, so hager, daß die Knochen zu sehen waren. Seine Locken waren inzwischen fast völlig grau geworden, doch er verfügte über eine Drahtigkeit, die sein wahres Alter Lügen strafte. Er war mehr als zwanzig Jahre älter als Nicholas. Damals war ihm das wie eine halbe Ewigkeit vorgekommen. Heute schienen sie gleichaltrig zu sein.
»Hast du genügend Mut dazu, Nicholas?«
Aus Matthias’ Frage hörte Nicholas seinen alten Lehrer heraus, und er vernahm noch etwas: Nicholas hatte nicht den Mut gehabt, Matthias zu töten, als dieser es verdient hatte, kurz nach Jewels Tod. Nicholas hatte gesagt, die Tat mache ihn nicht besser als Matthias – und das hatte vielleicht sogar gestimmt –, andererseits war er auch nicht skrupellos genug gewesen, nicht einmal in seinen jungen Jahren.
Aber Nicholas war in den vergangenen fünfzehn Jahren über sich hinausgewachsen und hatte gelernt, daß auch Skrupellosigkeit ihre Berechtigung hat, wenn es gilt, sich und seine Familie zu verteidigen. »Natürlich habe ich Mut genug. Ich bin nicht derjenige, der mit den Konsequenzen leben muß, daß er allein aus Angst getötet hat.«
Matthias wandte den Blick ab und nickte kaum wahrnehmbar. Es schien fast so, als schämte er sich für das, was er getan hatte.
Der Mann, den Matthias seinen Führer nannte, beobachtete sie. Wollte er ihnen wirklich helfen, oder war da noch etwas anderes mit im Spiel?
Der Mann bemerkte, daß Nicholas ihn musterte. »Ich soll euch lediglich die nötigen Informationen geben. Informationen, die ihr nicht hättet, wenn du mich nicht freigelassen hättest.«
Nicholas zog die Stirn kraus.
Der Mann lächelte. »Die Entscheidungen triffst du.«
Nicholas holte tief Atem. Richtig – er war schließlich immer noch der König, derjenige, der die Entscheidungen traf. Und ihm blieb nur noch eine Chance, all das zu retten, was ihm lieb und teuer war. Nur noch eine Chance, und um sie zu verwirklichen, bedurfte er der Hilfe des Mannes, der die Frau an seiner Seite getötet hatte.
»Was ist mit Coulter?« fragte Nicholas. »Ist er dazu fähig?«
Matthias erstarrte, als hätte ihn die Frage erschreckt. Das Lächeln des Führers wurde breiter. »Nein«, sagte der Führer. »Er ist nicht vom Blut des Roca. Er ist von meinem Blut.«
»Aber sein Name«, sagt Matthias. »Er war der Name des Roca. War auch er von deinem Blut?«
»Nein. Ich hieß nicht Coulter«, erwiderte der Mann.
»Wie kann dann
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