Fey 10: Das Seelenglas
bist, machst du sie von Anfang an unsichtbar.«
Sie sah ihn stirnrunzelnd an. Ihr war bei der ganzen Sache immer noch unwohl. Schattenland. Ihr ganzes Leben schon hatte sie davon gehört und es nie wirklich verstanden. Ihr Vater hatte gesagt, daß die meisten Fey es als Lager benutzten, wenn sie auf fremden Schlachtfeldern kämpften, und daß sich die Fey auf der Blauen Insel in ihrem Schattenland niedergelassen hatten und dort lebten. So etwas hätten die Fey zuvor nie getan.
Ihre Mutter, so hatte ihr Vater gesagt, hatte die Entscheidung, im Schattenland zu leben, nicht akzeptiert.
»Wir müssen zurück ins Schattenland, bevor sie wieder mit diesen Versuchen anfangen«, sagte Leen.
Gabe lächelte sie an. Dabei sah sein Gesicht fremd und vertraut zugleich aus, als hätte es mehr Fey-Züge angenommen. Und doch erkannte Arianna etwas von sich selbst darin. Dieses merkwürdige Gefühl hatte sie bei Sebastian nie gehabt. Sie waren immer zwei getrennte Wesen geblieben.
»Geh du zuerst«, forderte Gabe sie auf.
»Man braucht keinen Wächter, der zuerst in das Schattenland geht, das man selbst geschaffen hat«, sagte Leen. Arianna brauchte eine Weile, um zu merken, daß sie scherzte.
Sie streckte ihre Hand aus und hielt sie genau in die Mitte des Lichtkreises. Einen Augenblick flackerten die Lichter auf, dann rotierte der Kreis schneller.
»Ich glaube nicht …«, begann sie, doch dann öffnete sich der Kreis.
»Gehen wir«, sagte sie und machte einen Schritt hindurch.
Die Lichter wirbelten noch einen Moment und hörten dann auf.
Leen war vollständig verschwunden.
»Wie geht das?« fragte Arianna.
Gabe lächelte. »Etwa so, als würden wir einen Raum aus dem Himmel herausschnitzen. Innerhalb von etwas Festem, wie einem Felsen zum Beispiel, kann man kein Schattenland erschaffen. Es muß an der Luft sein. Aber selbst wenn man nur sehr wenig Platz hat, kann man eine ganze Armee darin unterbringen.«
»Das verstehe ich nicht«, sagte sie.
»Und ich verstehe nicht, wie du dich verwandeln kannst«, erwiderte Gabe. »Verstehst du es?«
Nein, natürlich verstand sie es nicht. Sie war schließlich nicht bei den Fey aufgewachsen. Wie konnte er das vergessen?
Etwas von ihrer Verwirrung mußte sich in ihren Augen gezeigt haben, denn Gabe schüttelte den Kopf. »Du verstehst es schon, wenn du es erst einmal versucht hast«, sagte er.
»Bist du so sicher, daß ich es auch kann?«
»Du hast visionäre Kraft«, sagt er. »Alle Visionäre können das. Selbst die schwächsten unter ihnen. Manche können sie nur einfach nicht groß genug machen.«
»Und du glaubst, ich bin eine der schwächeren«, sagte sie.
Er verdrehte die Augen. »Das habe ich nicht gesagt.«
»Das brauchtest du auch nicht«, entgegnete sie verärgert.
Er seufzte. »Ich will keinen Streit mit dir, Arianna.«
»Wirklich nicht?« sagte sie. »Es hat aber ganz den Anschein.«
Fledderer kam dazu und stellte sich mit verschränkten Armen neben sie.
»Du bist die Unbeherrschte«, sagte er zu Arianna. Er streckte die Hand nach dem Lichtkreis aus und zog sie wieder zurück. »Ich hoffe, du hast eins für nicht-magische Wesen gemacht«, sagte er zu Gabe.
»Leen ist hineingegangen.«
»Sie ist Infanteristin. Sie wird eines Tages magische Kräfte besitzen.«
Gabe holte tief Luft, als versuchte er, sein Temperament zu zügeln. »Versuch es«, sagte er.
Fledderer reckte eine Faust durch die Lichter. Sie rotierten genauso schnell wie eben bei Leen. Bevor er in den Lichtkreis eintrat, drehte er sich nach Coulter um.
»Die Truppen haben sich noch nicht von der Stelle gerührt«, sagte er.
Arianna sah sich um. Coulter lehnte dicht hinter ihr am Rand der Felsen. Jetzt beschlich sie das unbestimmte Gefühl, daß er sie beobachtet hatte. Ihr Herz machte einen kleinen Satz.
»Danke«, sagte er zu Fledderer, worauf dieser durch den Kreis schritt.
Gabe starrte Arianna an, dann schüttelte er den Kopf, als verzichtete er darauf, sich jetzt mit ihr zu streiten. Er folgte Fledderer ins Schattenland. Arianna betrachtete den Lichtkreis. Den Torkreis nannten sie es. Außer diesem kleinen rotierenden Kreis aus Lichtern waren die Schattenlande unsichtbar. Niemand konnte wissen, daß sich drei Fey darin aufhielten.
»Warum bist du so schroff zu ihm?« fragte Coulter leise. »Er hat nur versucht, dir zu helfen.«
»Ich brauche keine Hilfe«, sagte Arianna.
»Er weiß Dinge, die du nicht weißt.«
»Und ich weiß Dinge, die er nicht weiß.«
Coulter nickte. Er machte
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