Fey 10: Das Seelenglas
wirklichen Welt nicht ertragen. Manche Fey macht es verrückt, wenn sie zu lange in einem Schattenland sind. Daß er sich wieder erholt hat, beweist nur, wie stark er ist.«
Keine Gerüche. Natürlich! Das war es, was sie störte. Die Luft hatte keinen Geruch.
Was für ein entsetzlicher Ort!
»Setz dich«, sagte Gabe. »Wir werden eine Weile hierbleiben.«
»Glaubst du, wir finden hier Schutz?« fragte Arianna.
»Schattenlande sind dazu da, einen vor allem zu schützen«, antwortete Fledderer.
»Vor allem von außen«, fügte Gabe hinzu.
»Außer dem Tod desjenigen, der das Schattenland erschaffen hat«, sagte Fledderer.
»Außer davor«, bestätigte Gabe, und sein Gesicht nahm dabei einen gequälten Ausdruck an.
»Glaubst du, ich könnte eines erschaffen?« fragte Arianna. Sie setzte sich neben ihren Bruder, der sich ihr nicht entzog. Das betrachtete sie als ein gutes Zeichen.
»Ja«, sagte er und verstummte wieder.
»Hör mal«, sagte sie. »Es tut mir leid. Ich weiß nicht, was manchmal über mich kommt.«
Er blickte sie mit seinen blauen Augen mißtrauisch von der Seite an.
»Coulter ist sehr verletzlich.«
Dieser Themenwechsel überraschte sie. »Coulter?«
»Nutz ihn nicht aus. Er war schon immer sehr sensibel, obwohl er das bestreitet.«
»Du glaubst, ich habe ihn geküßt?« fragte Arianna. Ihre Stimme wurde immer höher.
»Ich habe es doch gesehen!«
»Er hat mich geküßt«, entgegnete sie. »Zweimal sogar!«
»Zweimal?«
»Niemand nutzt hier irgend jemanden aus«, sagte Arianna.
»Das will ich auch hoffen!«
Sie stieß einen Stoßseufzer aus. »Mein Vater will, daß wir miteinander auskommen. Können wir das alles nicht einfach ruhen lassen?«
»Ich lasse nicht zu, daß jemand Coulter etwas antut«, sagte Gabe.
»Aber du selbst tust es«, erwiderte Arianna scharf.
Gabe starrte sie an. »Das würdest du ohnehin nicht verstehen.«
»Oh, ich glaube, ich verstehe schon.«
»Er hat es zugelassen, daß Sebastian verletzt wurde.«
»Indem er deine Verbindung gekappt hat?« fragte Arianna.
Gabe nickte.
»Bist du denn so allmächtig, daß du ihn hättest retten können?«
»Ich hätte ihn gerettet.«
»Und meinen Vater sterben lassen.«
Ihre Worte hallten in der Stille nach. Gabe war nicht da gewesen, aber sie. Die Wachen des Schwarzen Königs hatten ihren Vater mit gezogenen Schwertern verfolgt. Er hätte diesen Angriff nicht überlebt. Sebastian hatte sein Leben gerettet, genauso wie ihres in den Bergen.
»Nein«, sagte Gabe leise. »Ich hätte einen anderen Weg gefunden.«
»Es war nicht genug Zeit, einen anderen Weg zu finden«, sagte sie. »Ich war da. Du tust Sebastian unrecht, wenn du glaubst, er hätte nicht ohne dich überleben können. Er hat das Richtige getan, und ich nehme an, es geht ihm gut.«
»Aber du weißt es nicht.«
»Ich habe meine Verbindungen auch geschlossen«, sagte sie. Sie wollte ihm nicht sagen, daß das Coulters Rat gewesen war. Er war auch so sauer genug auf Coulter. »Einmal so vereinnahmt zu werden reicht vollauf. Danke.«
Gabe schauderte, und sie erinnerte sich daran, daß ihr jemand erzählt hatte, er habe dasselbe auch schon erlebt.
»Du bist nicht wütend auf mich, stimmt’s?« fragte sie. »Du bist einfach wütend auf alle wegen dem, was geschehen ist.«
Gabe antwortete nicht.
»Du solltest auf den Schwarzen König wütend sein«, sagte sie. »Er ist derjenige, der schuld an allem ist. Wenn er nicht gekommen wäre, dann wäre deine Pflegefamilie noch am Leben, Sebastian wäre bei mir, und Coulter hätte mich nie geküßt.«
»Die Vergangenheit kann man nicht ändern«, sagte Gabe.
»Nein«, sagte sie sanft. »Das können wir nicht. Aber wir können die Zukunft ändern.«
Er war für eine ganze Weile still. Fledderer hatte seine Augen halb geschlossen, aber Arianna wußte, daß er sie beide beobachtete. Leen saß noch immer in der gleichen Position, und Ari fragte sich, ob sie weinte.
Ein seltsamer Gedanke, daß ein so starkes Wesen wie Leen weinen konnte.
»Ich nehme an, daß wir das können«, sagte Gabe. Er sah Ari an und nickte. »Ich nehme an, daß wir das können.« Er holte tief Luft. »Also glaubst du, daß der Plan meiner Mutter funktioniert?«
»Er könnte funktionieren«, sagte Ari, die froh war, daß sie ihre Aufmerksamkeit auf etwas Nützliches lenkten. Auf etwas, das ihnen helfen würde zu überleben und das sie von den Gedanken an Coulter und seinem zärtlichen Kuß ablenkte. »Aber wir sollten überlegen, ob uns
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