Fey 10: Das Seelenglas
so lange weg?« fragte er. Mit einem Mal war es ihm egal, wie verletzlich er wirkte.
»Ich wollte herausfinden, was es mit diesem Brunnen auf sich hat«, antwortete sie. »Da du es mir nicht verraten wolltest, habe ich die Mächte selbst herausgefordert.«
»Und?«
»Sie sagten mir, ich solle dich fragen.«
Er seufzte. Dann entzog er seine Wange ihrer Berührung und schüttelte leicht den Kopf.
»Vertraust du mir nicht, Nicholas?«
Er lächelte ein wenig und lauschte dem Echo seiner soeben gedachten Gedanken und all den Zweifeln, die sie bargen; alle Sorgen, die ihn quälten, wenn sie nicht da war, verflogen sofort, sobald sie bei ihm war. Er konnte sich soviel vorlügen, wie er wollte. Diese Frau, die da vor ihm stand, dieser Schatten, dieses Mysterium, war seine Frau.
Das wußte er mit einer Sicherheit, die weh tat.
»Ich vertraue dir, Jewel«, sagte er. »Ich habe dir immer vertraut. Aber mein Vertrauen sagt mir, daß du, wenn deine Zeit gekommen ist, nach deinem Dafürhalten handelst. Das kann ich nicht immer tun. Auch hier und jetzt nicht. Ich weiß, was du tun wirst. Du hast dich deutlich genug ausgedrückt. Aber diesmal ist es meine Entscheidung. Du willst mir nicht vertrauen, aber du mußt es. Ich habe recht.«
»Nicht, wenn du weißt, wie man den Schwarzen König besiegen kann und es nicht tust.«
Etwas in ihrer Stimme ließ ihn aufhorchen. Eine Spur von Panik, ein Beben beinahe.
»Was hast du?« fragte er.
Ihre Augen wurden eigenartig stumpf. Das Leben wich aus ihnen. Jewel hatte Angst, und sie wollte es vor ihm verbergen.
Aber es gelang ihr nicht. Sie konnte nichts Wichtiges vor ihm geheimhalten, wie sehr sie sich auch darum bemühte. »Jewel?«
»Der Schwarze König ist hier«, sagte sie.
»Jetzt schon?«
Ihre Armbewegung umschloß das Tal unter ihnen. »Er hat Verstärkung mitgebracht.«
Nicholas löste den Blick von ihr. Das Morgenlicht wurde heller und tauchte alles in einen rotgoldenen Schimmer. Er entfernte sich von dem Schwert, überquerte die kleine Ebene und stellte sich an den Rand, um hinunter ins Tal blicken zu können.
Tief unten gurgelte der Fluß, immer noch blutrot, denn die Sonne hatte ihn noch nicht erreicht. Direkt oberhalb des Flusses, auf seinem gegenüberliegenden Ufer, zogen sich flache Hügel dahin, und dahinter lag ein Tal, das er kaum einsehen konnte. Weiter links befand sich die Stadt Constantia, rechts von ihm die Straße, die in seine Heimat führte. Nach Jahn.
»Wie ist es möglich, daß wir sie nicht haben kommen sehen?«
Sie antwortete ihm nicht.
Natürlich.
Er war zu weit von der Höhle entfernt, dem einzigen Ort, an dem sie ihm erscheinen konnte. Er stieß einen leisen Fluch aus und warf noch einen Blick auf die Landschaft unter ihm.
Der Fluß sah bei Tagesanbruch wunderschön aus. Die Hügel und das dahinterliegende Tal, alles grün und braun und golden. Die Stadt, grau und abweisend. Möglicherweise mußte er hier oben sterben, in dieser Höhle, über dieser Landschaft.
An dem Ort, an dem alles seinen Anfang genommen hatte.
Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Wenn er hier sterben mußte, dann starb er für seine Kinder. Und für seine Insel.
Jedenfalls aus den richtigen Gründen, wie auch immer.
Er drehte sich um und ging zurück zu dem Schwert. Jewel saß direkt hinter dem Höhleneingang und beobachtete ihn. »Warum haben wir sie nicht kommen sehen?« fragte er leise.
Sie war hinter ihm. Er spürte ihre Wärme. Er wollte sich an sie schmiegen, tat es aber nicht. »Mein Großvater ist gerissen.«
»Die Straße liegt direkt vor unseren Augen.«
»Warum sollte er zu dieser Jahreszeit die Straße nehmen?« fragte sie. »Das war nur an den Pässen notwendig.«
Wieder fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar und zuckte zusammen, als er spürte, wie der Schmutz auf seinen Fingerspitzen über die Kopfhaut schabte. »Warum hast du mich nicht schon früher hierhergeführt? Wenn er Verstärkung bringt, so bedeutet das, er ist mit einem ganzen Heer angerückt. Du hast doch sicher gewußt, daß ich das gerne erfahren hätte.«
»Ich dachte, du siehst sie bestimmt, Nicky«, sagte sie und kam noch näher. Ihre Brüste drängten sich an seinen Rücken. Ganz leicht. Einen Augenblick dachte er, sie würde einen Arm um ihn legen.
»Du hast mir noch nicht geantwortet.«
Sie seufzte leise. »Ich habe zwei Dinge gleichzeitig getan.«
»Ja?«
»Ich versuchte herauszufinden, ob mein Großvater seinen Schlachtplan jemandem mitgeteilt hat.«
»Und?«
»Er
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