Fey 10: Das Seelenglas
darum gebeten. Angefleht.« Sie atmete heftig. Jewel und jemanden anflehen! Er hätte es nicht für möglich gehalten.
Sie senkte den Kopf. »Ich habe meine Entscheidung bereits getroffen, Nicky. Ich glaube, es gibt nur eine Möglichkeit, mich aufzuhalten.«
Mit klopfendem Herzen ging er auf sie zu. Er wußte nicht, ob er ihre Worte wirklich hören wollte. »Wie denn, Jewel?«
»Ich glaube, jemand müßte mich vernichten.«
»Ist das denn möglich?«
Sie schloß die Augen und nickte.
Seine Kehle zog sich zusammen. Sie hatte ihm ein großes Geschenk gemacht, das Geschenk ihres Vertrauens. Sie hatte ihn wissen lassen, daß sie selbst in dieser Gestalt vernichtet werden konnte.
Aber das würde er niemals tun, egal, was die Schamanin gesagt hatte, egal, was die Schamanin getan hatte.
Er würde Jewel nicht töten.
Er konnte sie unmöglich ein zweites Mal verlieren.
Und ganz gewiß würde er sie nicht Matthias’ wegen aufs Spiel setzen.
Abermals.
»Wie?« fragte er. Er wollte es wissen, damit er die Methode unter allen Umständen vermeiden konnte.
»Die dafür nötigen Werkzeuge befinden sich hier, Nicky, an diesem Ort.«
»Das habe ich mir schon gedacht, Jewel. Ich möchte es wissen, damit wir sie nicht benutzen, ebenso, wie wir nichts tun werden, um Arianna und Gabe zu gefährden.«
Sie hob den Kopf und lächelte matt. »Es gibt einen Grund dafür, weshalb ich mich zurückgezogen habe, während du all das hier ausprobiertest.«
Er wartete.
Sie seufzte. »Mehr darf ich nicht sagen.«
»Dann ziehe dich auch während des Kampfes zurück, Jewel.«
Sie nickte. »Das werde ich tun. Aber wenn er hier auftaucht, komme ich wieder.«
»Jewel …«
»Es war meine Entscheidung, Nicholas.« Sie berührte sein Gesicht. »Ich hätte mir niemals träumen lassen, daß einer von euch hierherkommt. Ich habe es nicht gewußt. Ich dachte, ich würde immer an deiner Seite sein, so wie in den vergangenen fünfzehn Jahren, würde dir helfen, so gut es geht, auch wenn du mich nicht sehen könntest. Ich hätte dir geholfen, und ich hätte Gabe geholfen. Ich hätte euch dabei geholfen, Matthias einen Strich durch die Rechnung zu machen. Ich wußte nicht, daß alles am Ende ganz anders kommen würde.«
Er nahm sie in die Arme. Sie war so warm, so zart, so lebendig. Er würde sie nicht noch einmal verlieren.
»Können wir denn überhaupt nichts tun?« flüsterte er ihr ins Ohr.
»Uns bleibt nichts anderes übrig, als zu hoffen, Nicky«, sagte sie und hielt ihn ebenso fest umschlungen wie er sie.
18
Wieder teilte sich der Tunnel.
Matthias saß auf der Steinbank, die aus dem gleichen Marmor geschnitten war wie der an den Wänden. Was für ein kunstvoll hergerichteter Ort – beinahe wie ein in den Berg hineingehauener Palast. Der Roca hatte die letzten Jahre seines zweiten Lebens hier verbracht, bis ihm etwas zugestoßen war, etwas, das, so nahm Matthias jedenfalls an, am Ende der Worte auch ihm zustoßen würde.
Die Worte.
Matthias seufzte. Hätte er das alles nur damals schon gewußt, als die ersten Fey auf die Insel gekommen waren, bevor man ihn zum Rocaan gemacht hatte, bevor dieses ganze Durcheinander seinen Anfang nahm. Doch wenn er es gewußt hätte, wäre er nie Rocaan geworden. Das System des Tabernakels hatte auf falschen Voraussetzungen gefußt, und am meisten ärgerte ihn, daß die Menschen, die diese Religion geschaffen hatten, es gewußt und absichtlich ignoriert hatten.
Er lehnte den Kopf an die Wand und biß von einem Apfel ab. Er schmeckte süß und erfrischend. Schon lange hatte er kein frisches Obst mehr gegessen. Jetzt hatte er einiges an Obst im Rucksack, dazu Wasser und Tak. Außerdem hatte er ein Schwert dabei, ein Messer, eine Glaskugel und eines der Seelengefäße. Er hatte sich davon überzeugt, daß das Gefäß leer war. Pausho war dagegen gewesen, sie zu benutzen. Nicht so Matthias.
Womöglich war es das einzige Hilfsmittel, das ihm erlaubte, bis zur Höhle des Roca und wieder zurückzugelangen.
Er hatte Marly nicht gesagt, daß er wegging. Er hatte Marly überhaupt nichts gesagt. Er hatte ihr nicht ins Gesicht sehen können, denn er wußte nicht, ob er wieder zurückkommen würde.
Er hatte sie bei den Verwundeten aus der Schlacht gefunden, um die sie sich mit ihren Heilerinnenkräften kümmerte. Er hatte sie geküßt und ihr gesagt, er würde sie nach dem nächsten Kampf wiedersehen. Die Schmerzensschreie eines Mannes hatten ihn abgelenkt. Marly hatte ihn kurz geküßt und ihn
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