Fey 10: Das Seelenglas
ermahnt, vorsichtig zu sein. Dann hatte sie sich wieder ihrer Arbeit gewidmet.
Als er schon einige Schritte gegangen war, war sie ihm nachgelaufen, hatte die Arme um ihn geschlungen und den Kopf an seinen Rücken gelehnt.
Sieh dich vor, hatte sie noch einmal gesagt. Ich möchte, daß du zu mir zurückkommst.
Als hätte sie es gewußt.
Er hatte ihre Hände getätschelt, sich in ihrer Umarmung umgedreht und sie noch einmal geküßt, diesmal sehr innig. Aber er hatte ihr nichts versprochen.
Er zweifelte sehr daran, daß er sie jemals wiedersah.
Er biß noch einmal vom Apfel ab und legte ihn halb aufgegessen auf die Bank. Sein Appetit war plötzlich verflogen. Pausho hatte recht gehabt: Es war dumm von ihm, hierherzukommen. Eine Dummheit, die in gewisser Weise an Weisheit grenzte. Wenn er das hier überlebte, wenn er Jewel überlebte, dann war es ihm auch möglich, den Klippenbewohnern unten im Tal zu helfen.
Er würde die Fey aufhalten.
Es brauchte jemanden vom Blut des Roca, um die Waffen des Roca so mächtig zu machen, wie sie jetzt sein mußten. Sobald alle anderen gelernt hatten, wie man sie benutzte, war der Anführer nicht mehr so wichtig. Zumindest war das die Theorie des Roca gewesen. Und wer war er schon, daß er den Roca in Zweifel zog – selbst jetzt?
Matthias seufzte. Noch immer wußte er nicht, was Jewel eigentlich war oder wie sie ihm erschienen war; er wußte nur, daß sie eine Bedrohung darstellte. Er mußte an sich selbst glauben, an die Mächte in ihm, von deren Existenz er erst vor kurzem erfahren hatte.
Sie hatten ihm auch schon zuvor gute Dienste geleistet.
Er spürte die Macht jener Höhle, des Ortes, den Pausho die Höhle des Roca nannte, fühlte, wie sie ihn anzog, sogar von hier. Seit er die labyrinthischen Korridore betreten hatte, war ihm jeder Zeitsinn abhanden gekommen, aber dieser Sog zeigte ihm an, daß er den richtigen Weg eingeschlagen hatte.
In den anderen Gängen herrschten andere Arten von Anziehungskräften, denen er aber nicht recht traute. Er konnte das Gefühl, das sie in ihm auslösten, nicht beschreiben, außer daß sie kälter und unheimlicher waren als jede Anziehung, die er zuvor erlebt hatte.
Außer hier.
An dieser Gabelung kannte er den richtigen Weg zur Höhle, und trotzdem wollte er den anderen Weg einschlagen. Er wußte, daß er es nicht wagen würde, daß etwas an diesem Weg nicht stimmte, und trotzdem verleitete ihn etwas mit einem derart starken Verlangen, das ihn an den ursprünglichen Drang, die Höhle zu finden, erinnerte. Er saß auf der Bank – nicht die erste, an der er vorübergekommen war – und beschloß, einen Augenblick zu warten, bis das Gefühl sich legte.
Es legte sich nicht.
Es wurde stärker, und das beunruhigte ihn um so mehr. Dieser Drang gefiel ihm ganz und gar nicht, besonders da er wußte, daß er von außen kam.
Sein Blick fiel auf den zweiten Gang. Der Hauptkorridor glühte in einem eigenen Licht, wie das Gewölbe, als leuchtete der Stein von innen heraus. Jener Gang hingegen war dunkel, und die Dunkelheit schien lebendig zu sein, beinahe als bewegte sie sich irgendwie. Er seufzte. Er hatte keine Zeit für einen Umweg. Vielleicht auf dem Rückweg.
Falls er zurückkam.
Einen Moment schloß er die Augen. Vielleicht gab es einen Grund für dieses Gefühl, für diese heftige Verlockung.
Vielleicht war er dazu bestimmt, den Umweg zu nehmen.
Wenn es ihm gelungen wäre, die Höhle des Roca zu betreten, ohne auf Jewel zu treffen, hätte er noch vor seinem Abstieg nach Constantia so vieles herausgefunden. Andererseits hätte er jene Dinge dann entdeckt, bevor er im Gewölbe gewesen war, ohne die Worte gesehen zu haben.
Er hätte nicht genau begriffen, wonach er eigentlich suchte.
Er öffnete die Augen und rutschte bis zur Kante der Bank nach vorne. Sie erstreckte sich beinahe in den anderen Gang hinein, und er spürte die Präsenz dieses Gangs. Die lebendige Dunkelheit hatte eine gewisse Struktur, als wäre die Luft dort dicker.
Matthias standen die Haare zu Berge.
Am anderen Ende des Tunnels konnte er die Anwesenheit von Fey spüren. Nicht der Fey, die er kannte, sondern anderer Fey. Fey, die nach ihm suchten. Sie waren dort am anderen Ende und doch so weit entfernt. Es würde ihn Tage kosten, bis er bei ihnen war.
Vielleicht sogar Jahre.
Er erschauerte. Seine Augen gewöhnten sich an die merkwürdige Dunkelheit. Hinter den Fey waren noch andere, Leute, die er noch niemals zuvor gesehen hatte. Er spürte nicht, wo sich die
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