Fiasko
Rechen- als auch die Analogsimulation einer Sphäromachie nach mindestens hundertjähriger Kriegführung führt nicht zu eindeutigen Aussagen. Auf die vom Computer durchgespielten Varianten gestützt, hielten die Urheber des Modells es jedoch für möglich, daß bei der Programmierung der Autonomie von Kampfmitteln eine Restriktionsschwelle existiert, oberhalb derer die Waffen von bloß selbständigen zu eigenmächtigen werden. Dieses Bild entfernt sich vom Modell des Sterns und nähert sich dem einer natürlichen Evolution. Die autonomen Waffen sind wie niedere Lebewesen, die mit einer vom Selbsterhaltungstrieb im Zaum gehaltenen Aggressivität ausgestattet sind.
Eigenmächtige Waffen sind wie Primaten, die sich einen erfinderischen Geist erworben haben und aus lediglich listigen oder pfiffigen Untergebenen zu Initiatoren neuer Taktiken werden. Solche Waffen entziehen sich selbst der indirekten Kontrolle ihrer Erbauer. Mit der Feststellung, daß diese Erbauer zwischen zwei Feuer gerieten, meinten die Verfasser des Modells, daß die Katastrophe allen gleichermaßen droht, ob sie die Intelligenz ihrer Waffen nun zügeln oder spornen mögen. So oder so büßt die Sphäromachie im Zuge ihrer Eskalation die dynamische Stabilität ein. Ihr künftiges Schicksal ist nicht eindeutig vorauszusagen und geht über die Interessen der Seiten hinaus, die den Kampf aufgenommen haben. Dieser Zustand lag allerdings noch in weiter Ferne.
Die auf der EURYDIKE beobachteten Blitze konnten Geplänkel weit fortgeschrittener Kampfeinheiten an der Peripherie des Zeta-Systems gewesen sein. Ihre Kollision in einer Entfernung von Milliarden Meilen von der Quinta bedeutete, daß authentische Schlachten an Fronten geschlagen werden konnten, die in astronomischer Ferne von dem Planeten lagen. Dort durfte der Krieg dann schon „heiß“ werden, und er konnte in der Zukunft unabsehbare Sprünge mitten in die Sphäromachie bringen. Im Grunde durfte kein Kenner der Strategie, die die Clausewitzsche abgelöst hatte, ein siegreiches Finale der Auseinandersetzungen erwarten. Gleichwohl befanden sich die solcherart erfahrenen Strategen in der Zwangslage von Spielern, die, da sie ihr gesamtes Kapital zum Einsatz gemacht hatten, nicht einfach vom Tisch aufstehen konnten. Darin bestand die Spiegelsituation. Die einstige Hauptfrage, wer den Wettlauf begonnen habe, war inzwischen ohne jede Bedeutung. Friedlichkeit oder Aggressivität der Absichten der kämpfenden Seiten können sich im Konflikt nicht mehr offenbaren. Die Aussichten stehen für alle Spieler schlecht, und das Spiel kann nicht anders enden als mit einem Pyrrhussieg. Welche Chancen boten sich nun innerhalb einer solchen Konstellation für den Kontakt? Das wußten die Verfasser der Denkschrift nicht. Solange sich auf dem kosmischen Schachbrett schwarze und weiße Figuren von analoger Stärke bewegen, lassen sie sich auf gar keinen Kampf ein, sondern halten sich nur gegenseitig in Schach. Völlig neue und unbekannte hingegen werden einer Diagnose durch Kampf unterzogen. Es handelt sich um Scharmützel, wie sie früher von Plänklertruppen geführt wurden. Der HERMES war möglicherweise nicht von dem Planeten, dessen Staaten, Stäben oder Mächten, sondern als „Fremdkörper“, als ein Objekt angegriffen worden, das groß, technischen Ursprungs und unbekannt zugleich war. Er würde also nicht überfallen wie ein Passant von Banditen, sondern wie Krankheitskeime von schützenden Lymphozyten innerhalb eines Organismus.
Dem Wettrüsten waren kaum Grenzen gesetzt. Alte Kampforbiter konnten auf den Planeten zurückgeholt und einem „Recycling“ unterzogen werden. Für eine Waffe wie die Viroiden, die mikrominiaturisierten Parasiten, die selbstkoppelnden Moleküle, die mit Sonnenenergie arbeiteten, bedurfte es großen Erfindergeists, aber nur weniger Rohstoffe.
Abschließend zogen Polassar, Rotmont und El Salam ein Fazit ihrer Vorstellungen von der Quinta: Dieses Gebilde jahrhundertelanger Kämpfe um die Vorherrschaft, dieses künstliche System einer Sphäromachie mit einem Radius von sieben Milliarden Meilen könne als ein vom Krebs befallener Organismus angesehen werden. Seine kosmischen Organe seien mehr oder minder bösartige Metastasen des Konflikts. Weiter reiche die Analogie mit einem lebenden Wesen indessen nicht, da jener Komplex schon im Keim nie „gesund“, schon bei der Zeugung verseucht gewesen sei von dem Antagonismus gegeneinander gerichteter Technologien.
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