Fiasko
Steergard. Die Physiker gaben dem Piloten jedoch recht. Die Frist für die Antwort wurde auf siebzig Stunden verlängert.
Kurz darauf war Harrach allein. Er stellte auf die Automatik um und hatte völlig genug davon, die Quinta zu betrachten, zumal der Qualm der unzähligen vulkanischen Eruptionen braunrot das Weiß des Planeten überzog und dunkel gerann wie schmutziges Blut. Es war kein Blut. Harrach wußte das, wollte aber nicht mehr hinsehen. Auf Steergards Anweisung begann sich das Raumschiff auf der Stelle zu drehen wie der horizontale Ausleger eines Krans. Dank der Zentrifugalkraft, die im Steuerraum am Bug am stärksten spürbar wurde, gab es so den Ersatz einer Gravitation. In der Messe, in der sich die Crew eingefunden hatte, konnte man sich dadurch wenigstens ohne die in der Schwerelosigkeit übliche Akrobatik zu Tisch setzen. Die für die Gyroskopie typischen Präzessionseffekte bereiteten Harrach Übelkeit, obgleich er auf der Erde oft mit dem Schiff gefahren und nicht einmal bei schwerer Dwarsdünung seekrank geworden war.
Er konnte nicht stillsitzen. Was er gewollt hatte, war geschehen. Besah man es vernünftig, so trug er keine Verantwortung für die Katastrophe. Er war sicher, daß alles ebenso abgelaufen wäre, wenn ihn die Wut nicht gepackt und er sich nicht auf wenig schickliche Streitigkeiten mit Pater Arago eingelassen hätte, der doch weiß Gott nichts dafür konnte. Nein, nichts wäre anders gekommen, wenn er schweigend das Seine getan hätte. Er sprang von seinem Sitz vorm Steuerpult, und kaum hatte er die Beine gestreckt, trug es ihn durch die ganze Navigationszentrale. Anders konnte er die Wut nicht entladen, die wieder in ihn zurückschlug und ihn trieb, nicht dazusitzen, die Hände in den Schoß zu legen und sich die klimatische — hoffentlich nur klimatische! — Verwirrung auf dem von Terajoules getroffenen Planeten anzusehen.
Am liebsten hätte er das Bild abgeschaltet, aber das durfte er nicht. Um den ellipsenförmigen Raum lief eine Galerie, die die obere von der unteren Etage trennte. Wie ein Seemann auf schwankendem Deck rannte Harrach mit gespreizten Beinen hinauf und einmal rundherum. Man hätte meinen können, er sei dabei, ein Lauftraining zu absolvieren. Auf Pfeilern, die wie die Speichen eines großen Rades in der Mitte zusammentrafen, zwischen Kreuzstreben, die an der Decke befestigt waren, ruhte die Operationszentrale. Acht tiefe Sessel standen um das Terminal, das einem geköpften Kegel glich. Auf dieser Platte lag der Entwurf des Ultimatums, geschrieben in den für Steergard charakteristischen schrägen, scharfen Schriftzügen. Nachdem Harrach zwischen den Sesseln hindurch an den Tisch getreten war, tat er etwas, was er von sich selbst nie für möglich gehalten hätte: Er drehte das Blatt mit der unbeschriebenen Seite nach oben. Er blickte sich um, ob ihm niemand zusah, aber nur die flimmernden Bildschirme täuschten eine Bewegung vor. Der Pilot setzte sich in den Sessel, den sonst der Kommandant einzunehmen pflegte. Durch die keilförmigen Fenster zwischen den unter einer silbrigen Plastikhülle liegenden Pfeilern sah er unten den Navigationsraum, der ebenfalls von verschiedenfarbigen Lichtern, einem flimmernden Schein erfüllt war. Dieser kam immer noch vom Hauptmonitor — vom getrübten Licht der Quinta.
Harrach stützte die Ellenbogen auf das schräge Pult und schlug die Hände vors Gesicht. Wenn er gekonnt, wenn er gedurft hätte, so hätte er vielleicht geweint nach diesem Sodom und Gomorrha.
XVI
Die Quintaner
Er erschien völlig gelassen und nahm von niemandem Abschied. Keiner seiner Gefährten stieg, als es soweit war, mit ihm in den Lift. Im normalen weißen Raumanzug, den Helm unterm Arm, blickte er auf die nacheinander aufleuchtenden Nummern der Decks, die er durchfuhr. Selbsttätig öffnete sich die Tür. In der kuppeiförmig gewölbten Starthalle stand merkwürdig klein die Rakete, untadelig silbern, weil sie noch nie eine Atmosphäre durchquert, die Hitze ihr noch nie Bug und Flanken mit Ruß geschwärzt hatte. Über das Gitterblech, das bei jedem Schritt dumpf widerhallte, ging er auf den Flugkörper zu und spürte dabei eine zunehmende Schwere, das Zeichen, daß der HERMES mit verstärktem Schub das Heck von dem Planeten kehrte, um ihm beim Start den rechten Schwung geben zu können.
Er sah sich um. Hoch oben, wo die Bogenpfeiler zusammentrafen, brannten Kränze starker Leuchtröhren. In ihrem schattenlosen
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