Fiasko
senkrechte Wand des höchsten der hiesigen Gipfel. Er glich einem Büffelkopf, dem allerdings ein Horn fehlte — die Indianer hatten es vor Jahrhunderten den „Zum Himmel Gefahrenen Stein“ genannt. Aus den felsgrauen Niederungen stiegen langgestreckte Berglehnen auf, in deren Schatten Eis schimmerte. Durch einen Paß im Norden blauten die Ebenen, wo sich in unsäglicher Entfernung ein dünner Rauchfaden in den Himmel zog — die Spur eines tätigen Vulkans. Doktor Gerbert verglich die einzelnen Aufnahmen miteinander, auf manche machte er ein Zeichen mit dem Kugelschreiber. Nicht das leiseste Geräusch drang hierher. Die Flammen der Kerzen standen reglos in der kalten Luft. Ihr Schein gab den nach altindianischen Mustern geschnitzten Möbeln groteske Konturen: Der große Sessel, der die Form eines menschlichen Unterkiefers hatte, warf an die Decke den makabren Schatten der gezähnten Armlehnen, die in krumme Hauer ausliefen. Über dem Kamin grinsten augenlose, hölzerne Fratzen, und der kleine Tisch neben Gerbert hatte zur Stütze eine geringelte Schlange, deren Kopf auf dem Teppich ruhte. Halbedelsteine verliehen den Augen ein rötliches Funkeln.
Fern ertönte ein Läuten. Gerben legte das Filmmaterial beiseite und erhob sich.
Schlagartig verwandelte sich der Raum — er wurde zu einem geräumigen Speisezimmer. Die Tafel in der Mitte trug kein Tischtuch, auf der bloßen schwarzen Platte glänzten Silber und jaspisgrünes Geschirr. In einem Rollstuhl, wie ihn Gelähmte zu benutzen pflegen, kam ein Mann zur offenen Tür herein. Er trug ein ledernes Blouson und war dick, sein Gesicht war so massig, daß sich das winzige Naschen fast zwischen den Wangen verlor. Freundlich grüßte er Gerbert, der an der Tafel Platz genommen hatte. Gleichzeitig war eine Dame eingetreten, sie war spindeldürr, ihr schwarzes Haar durch einen grauen Scheitel geteilt.
Gerbert gegenüber erschien ein dicker kleiner Herr mit apoplektischem Gesicht.
Als der Diener in seiner kirschroten Livree bereits den ersten Gang auftrug, stellte sich als verspäteter Gast ein grauhaariger Mann mit gespaltenem Kinn ein. Er blieb zunächst zwischen den Anrichten, vor dem aus Felsgestein errichteten massiven Kamin stehen und wärmte die ausgestreckten Hände über dem Feuer, ehe er sich auf den Platz setzte, den der gelähmte Hausherr ihm wies.
„Ist Ihr Bruder noch nicht von seiner Tour zurück?“ fragte die dürre Frau.
„Er wird auf dem Zahn des Mazumac sitzen und zu uns herübergucken“, antwortete der Gefragte und rollte m die Lücke, die man in der Stuhlreihe für ihn gelassen hatte. Er aß schnell, mit großem Appetit. Außer jenem kleinen Wortwechsel verlief das Mittagessen in Schweigen. Erst als der Diener das letzte Schälchen Kaffee eingeschenkt hatte, dessen Duft sich mit dem süßlichen Rauch der Zigarren mischte, ließ sich die Frau erneut vernehmen: „Wissen Sie, Vanteneda, Sie müssen uns heute erzählen, wie die Geschichte über das Auge des Mazumac ausgegangen ist!“
„Ja, ja“, wiederholten die anderen.
Mondian Vanteneda faltete ein wenig blasiert die Hände über seinem dicken Bauch.
Dann sah er alle der Reihe nach an, als wollte er andeuten, daß mit ihnen der Kreis seiner Zuhörer geschlossen sei. Im Kamin knackte ein verlöschendes Scheit.
Eine Gabel wurde weggelegt. Ein Löffelchen klirrte, dann war es still. „Wo war ich denn stehengeblieben?“
„Als Don Esteban und Don Guilielmo die Legende vom Cratapulq hörten und ins Gebirge aufbrachen, um ins Tal der Roten Seen zu gelangen…“
Mondian machte es sich im Rollstuhl bequem und erzählte:
„Die beiden Spanier begegneten auf ihrem Marsch weder Mensch noch Tier, nur manchmal horten sie den Schrei der kreisenden Adler. Einige Male flog ein Geier über sie hin. Als sie nach großer Mühsal endlich den Grat des Toten Flusses erklommen hatten, erblickten sie vor sich einen hohen, steilen Anstieg, dem sich bäumenden Rücken eines gewaltigen Pferdes gleich, mit einem unförmigen, überhängenden Kopf. Der Hals, der schmal war wie der eines Pferdes, war m Nebelschwaden gehüllt. Don Esteban fielen die sonderbaren Worte ein, die der alte Indianer in der Ebene gesagt hatte: „Hütet euch vor der Mähne des Schwarzen Pferdes!“ Sie beratschlagten, ob sie weitergehen sollten. Ihr erinnert euch, daß Don Guilielmo zur Orientierung eine Skizze der Bergkette bei sich trug, auf den Unterarm
Weitere Kostenlose Bücher