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Fiasko

Fiasko

Titel: Fiasko Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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aber im Prinzip hatte er recht. Es war zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts, als die Europäer noch nicht viel von den Möglichkeiten wußten, die Sehkraft durch geschliffene Gläser zu verstärken. Zwei riesige Bergkristalle, von denen man nicht weiß, ob sie durch Kräfte der Natur geschaffen oder von Menschenhand bearbeitet worden sind, waren auf dem Kopf des Mazumac und in der Grotte der Eingeweide so angeordnet, daß man, wenn man in den einen hineinblickte, alles in der Umgebung des anderen sah. Es war ein ungewöhnliches Periskop, aus zwei Spiegelprismen bestehend, die dreißig Kilometer voneinander entfernt waren. Der Indianer, der auf dem Gipfel des Kopfes stand, konnte die beiden Tempelräuber sehen, als sie die Eingeweide des Mazumac betraten. Vielleicht konnte er sie nicht nur sehen, sondern auch ihr Verderben herbeiführen.“ Mondian führte eine rasche Handbewegung aus. In den orangefarbenen Lichtkreis auf dem Tisch fiel ein Bündel Riemen, an einem Ende zu einem dicken Knoten geknüpft. Das verblichene Leder wies tiefe Schnitte auf. Es raschelte im Niederfallen, so alt und vertrocknet war es. „Es gab also jemanden“, schloß Vanteneda, „der die Expedition verfolgt und ihre Beschreibung hinterlassen hat.“
       „So kennen Sie also den Weg zur Hohle des Goldes?“ Mondians Lächeln wurde immer gleichgültiger, als verschwimme es zugleich mit dem Anblick der Berge in der eisigen, schweigenden Gebirgsnacht.
       „Dieses Haus hier steht genau am Eingang zum Mund des Mazumac. Wenn man in diesem Munde ein Wort sprach, wurde es vom Kessel des Schweigens mit gewaltigem Donner wiederholt. Das war ein natürlicher Lautsprecher aus Stein, tausendmal stärker als jeder elektrische.“
       „Aber…“
       „Die spiegelnde Tafel ist vor Jahrhunderten vom Blitz getroffen worden und zu einem Haufen Quarz geschmolzen. Der Kessel des Schweigens liegt genau hier vor unseren Fenstern. Don Esteban und Don Guilielmo sind vom Tor der Winde gekommen… Die Roten Quellen jedoch sind langst versiegt, und keine Stimme kann Steinschläge auslösen. Das Tal muß als Resonator gewirkt haben, wobei durch bestimmte Tonschwingungen die Kalksteinspitzen aus ihrem Lager gelöst wurden.
       Die Grotte ist durch eine unterirdische Erschütterung verschlossen worden. Es gab dort einen hängenden Felsblock, der wie ein Keil die beiden Felswände auseinanderhielt. Der erwähnte Erdstoß trieb ihn aus seiner Lage, und die Wände schlössen sich für immer. Was später geschah, als die Spanier den Paß zu überwinden suchten, wer die Steinlawine auf Cortez' Fußvolk niedergehen ließ — das weiß man nicht. Ich glaube, niemand wird es je erfahren.“
       „Nun, nun, mein lieber Vanteneda, Felsen kann man sprengen, mit Maschinen zertrümmern, und Wasser läßt sich herauspumpen, nicht wahr?“ sprach der kleine dicke Herr am Tischende. Er rauchte eine dünne Zigarre mit einem Strohhalm.
       „Meinen Sie?“ Mondian verbarg nicht seine Ironie. „Es gibt keine Gewalt, die den Mund des Mazumac zu Öffnen vermag, wenn ER es nicht will!“
       Heftig stieß er sich vom Tisch ab, der Luftzug löschte zwei Kerzen aus. Die anderen brannten in einem bläulichen Licht, und Rußflocken wirbelten über ihnen wie kleine Nachtfalter.
       Mondian griff mit seiner behaarten Hand zwischen den Gesichtern hindurch nach dem Riemenbündel und machte mit dem Rollstuhl so heftig kehrt, daß der Gummi der Räder quietschte. Die Anwesenden erhoben sich und gingen hinaus. Doktor Gerbert blieb sitzen, in den Anblick der flak-kernden Kerze versunken. Vom offenen Fenster zog es kalt herüber. Er erschauerte unter dem eisigen Hauch und sah dem Diener zu, der einen Armvoll schwerer Kloben hereinbrachte und vor dem vom Feuer blaugebeizten Kamingitter niederlegte. Geschickt verteilte er die Glut und baute darüber ein kunstvolles Dach, als jemand die andere Tür öffnete und den Rahmen berührte. Erneut verwandelte sich schlagartig das ganze Interieur. Der aus rohen Steinen gefügte Kamin, der Diener am Holzstoß, die Stühle mit den geschnitzten Lehnen, Leuchter und Kerzen, das Fenster und die Gebirgsnacht — alles versank in gleichmäßigem, mattem Licht. Auch die große Tafel verschwand mitsamt dem Geschirr darauf, und in einem kleinen weißen Raum mit ovaler, hohlgewölbter Decke blieb nur Gerbert zurück, auf dem einzigen Stuhl, vor einer quadratischen Platte mit seinem Teller und einem Bratenrest.
       „Mit alten

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