Fida (German Edition)
Tom das Mädchen beobachtete. Doch sein Versuch, das Mädchen anzusprechen und sie womöglich vor ihm zu warnen, ließ ihn nur seltsam erscheinen. Tom konnte aus dem Augenwinkel beobachten, wie Laura sich erhob und fast schon fluchtartig das Weite suchte. Schnell stellte er das Buch, in dem er vorgab zu lesen, zurück ins Regal, aus dem er es ziemlich wahllos gezogen hatte. Er wartete einen Augenblick, bevor er ihr hinterher ging. Draußen beobachtete er, wie sie ihren Bus verpasste und sie sich zu Fuß auf den Weg machte. Er ließ noch ein paar Minuten verstreichen, bevor er ihr folgte. Mit einigem Abstand radelte er hinter ihr her. Tom beobachtete, wie der alte Mann bremste und langsam neben Laura herfuhr. Darum verlangsamte er sein Tempo ebenfalls. Leider konnte Tom nicht hören, was gesprochen wurde, sein Abstand war zu groß, doch als Laura schrie, der Alte solle sich verpissen, trug der entgegenkommende Wind die Worte klar und deutlich heran. Dann rannte sie los und er trat in die Pedale.
Die Dämmerung, die bereits einsetzte und die Straßenlampen, die noch nicht aufflackerten, ermutigten ihn, sich ihr nun direkt zu nähern. Die Angst in ihrer Stimme zeigte ihm, dass wenn er es jetzt clever anstellte, endlich der richtige Zeitpunkt gekommen war. Schon seit ein paar Wochen hatte er dieses Mädchen im Visier. Schüler-VZ und Facebook hatten ihm eine breite Auswahl potentieller Opfer präsentiert, die sich durch gezielte Eingaben auf erreichbare Ziele eingrenzen ließ. Schließlich hatte er eine Vorauswahl getroffen und sich mit einem extra angelegten, falschen Profil mit ein paar Mädchen angefreundet. Die meisten von ihnen waren ziemlich naiv. Es war so einfach, ihnen genug Informationen zu entlocken, die ihm Standorte verrieten, an denen er unauffällig einen ersten, prüfenden Blick auf sie werfen konnte. Manche waren so blöd, vorher auf ihrem Profil zu posten, wenn sie ins Kino gingen oder zum Eis essen in die Stadt.
Eigentlich war er wegen eines ganz anderen Mädchens gekommen, als er sie sah: Laura. Sie stand mit ihren Freundinnen vor einem Kino, in freudiger Erwartung den neuen Twilight-Film zu sehen und es war Liebe auf den ersten Blick. Dieses Mädchen hob sich von den anderen ab. Sie wirkte rein, unverbraucht, verzichtete völlig auf Make-Up und überstrahlte mit ihrer natürlichen Schönheit das durchschnittliche Aussehen ihrer zugekleisterten Gefährtinnen. Er sah sie und binnen eines Lidschlags hatte er seine Wahl getroffen.
Obwohl er nicht vorgehabt hatte, sich den Film anzusehen, löste Tom eine Karte. Die Nachmittagsvorstellung war nur schwach besucht. Während des Films setzte er sich, in diskretem Abstand, zwei Reihen hinter die Mädchen, etwas weiter außen, wo er den besten Blick hatte. Zwar nicht auf die Leinwand, dafür aber auf Laura.
Am Abend durchkämmte er die sozialen Netzwerke nach ihrem Account. Vielleicht hatte sie besonders strenge Eltern, die ihr die Nutzung von Facebook nicht erlaubten, denn nach Stunden hatte Tom sie noch immer nicht gefunden. Doch ihre dämliche Freundin machte genug Angaben über sich selbst, sodass es nicht allzu schwer war, sie dennoch wiederzufinden.
Schnell holte er auf und näherte sich seinem Opfer.
„Brauchst du Hilfe?“, fragte er scheinheilig, als er sie erreicht hatte. Während der Wagen des alten Mannes um die nächste Ecke bog drosselte Tom seine Geschwindigkeit und passte sie Lauras Schritten an.
Es war so einfach, mit Laura ins Gespräch zu kommen. Der Schreck saß ihr noch in den Gliedern und sie schien froh über seine Anwesenheit. Vertrauensvoll erzählte sie ihm sofort von dem Perversen, der sie gerade angemacht hatte. Sie war aufgeregt, außer Atem und froh, dass jemand dazu gekommen und sie nicht mehr allein auf der Straße unterwegs war. Erleichtert, dass die vermeintliche Bedrohung sich verflüchtigte. Absolut blind für die neue und einzige Gefahr.
„Ist ja krass! Wenn ich so was höre, bin ich echt froh, kein süßes Mädel zu sein, so wie du!“, kommentierte er ihr Erlebnis. Das mit der Bemerkung einhergehende Kompliment brachte Laura zum erröten. „Ich hätte da Angst, so ganz alleine, wenn’s schon dunkel wird.“
Laura nickte: „Ja, das mit dem Typen eben war gruselig. Der war schon in der Bücherei so komisch. Du warst auch dort, oder?“
Mist, er war ihr also aufgefallen. Schnell log er: „Ja, ich war auf der Suche nach einem Buch für die Uni.“
Tom sah noch jung genug aus, um als Student im letzten Semester
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