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Fida (German Edition)

Fida (German Edition)

Titel: Fida (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Maucher
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Eckpfeiler des Bettes den Zeh anstößt. Weil sie Jochen nicht aufwecken will, unterdrückt sie einen derben Fluch. Leise, selbstbeherrscht, zieht sie die Schafzimmertür hinter sich zu. Sie geht ins Bad, betätigt einen Schalter und betrachtet im fahlen Neonlicht ihr bleiches Spiegelbild. Ein trauriges, hageres Gesicht blickt ihr entgegen, mit den dunklen Ringen unter den Augen, umrandet von strähnig herabhängenden Haaren. Verdammt, was ist nur aus ihr geworden? Ein altes Weib schaut sie an, statt der lebenslustigen, attraktiven Frau, die sie noch vor einem Jahr war. Tränen sammeln sich in ihren müden Augenwinkeln. Wann hat sie zum letzten Mal richtig geschlafen? Sie fühlt sich am Ende ihrer Kräfte und doch zu angespannt um schlafen zu können. Als würde das Leben aus ihr herausrinnen, wie der Sand aus einer Eieruhr.
    Das Gefühl, nicht einen Tag länger so weiterleben zu können, wird beinahe übermächtig. Ihr Blick streift die Rasierklingen, die der Hersteller vorausschauenderweise mit einem dünnen, schützenden Drahtgeflecht ummantelt hat, um Verletzungen zu vermeiden. Ein weiterer Gedanke, den sie sich nicht erlauben möchte, versucht sich in ihren müden Geist zu drängen. Schnell schiebt sie ihn beiseite. Vielleicht, denkt sie stattdessen, hilft mir ein heißes Bad dabei zu entspannen. Tatjana wendet sie sich der Badewanne zu, steckt den Stöpsel in den Abfluss und öffnet den Wasserhahn. Beobachtet einen Moment lang, wie das warme, dampfende Wasser einströmt, bevor sie ihr Nachthemd auszieht und hineingleitet. Sie lässt die Wanne ganz voll laufen, bevor sie den Hahn wieder zudreht und sich zurücklehnt. Doch kaum übertönt das Rauschen des fließenden Wassers die Stille nicht mehr, hört sie wieder das Ticken. Eigentlich nur ganz leise, trotzdem hallt es in ihren Ohren. Überlaut. Unmöglich Ruhe zu finden.
    Sie steigt wieder aus der Wanne und hüllt sich in ein bereitliegendes Handtuch. Dann tapst sie, auf feuchten Sohlen, zielstrebig nach unten ins Esszimmer, greift sich einen Stuhl und schleppt ihn die Treppe hinauf. Stellt ihn an die Wand, steigt auf ihn und streckt die Zehen, um an das verdammte Ding heran zu gelangen. Diese Akrobatik ist nötig, weil Jochen, der deutlich größer ist als sie, die Uhr befestigte, noch dazu ein Stück links an der Wand, über den Stufen, wo sie den Stuhl nicht mal direkt drunter stellen kann. Wenn sie hier fällt, wird sie sich bestimmt den Hals brechen, aber im Augenblick ist ihr das scheißegal. Ihre Füße sind noch nass und sie rutscht bei ihrer waghalsigen Aktion fast vom glatten Lederbezug, schafft es aber, das Gleichgewicht zu behalten und die Uhr zu erreichen. Das Beutestück klemmt sie sich unter den Arm, läuft damit zurück ins Bad und wirft es in die Wanne. Mit einem Gefühl der Befriedigung sieht sie dabei zu, wie der Zeitmesser blubbernd versinkt. Der Sekundenzeiger springt noch ein letztes Mal, bevor der Störenfried endlich erstirbt. Nun hat sie die Zeit eben ersäuft. Gleich wird sie dasselbe mit ihrem Kummer tun. Und morgen, das beschließt sie in diesem Augenblick, wird sie etwas ändern. Sie wird sich ihr Leben zurückholen!
    Tatjana schleicht hinunter in die Küche, genehmigt sich einen großen Schluck aus der offenen Flasche Wein, den sie sonst nur zum Kochen verwendet. Dann noch einen. Erst als die Flasche leer ist, geht sie zurück ins Bett, wo sie endlich in einen tiefen, ruhigen Schlaf fällt.

Kapitel 6
    6. März 2012
     
    „Verpissen Sie sich!“, hatte das Mädchen geschrien. Anscheinend hatte sie wache Instinkte. Trotzdem war es für ihn mehr als einfach, sie in seine Gewalt zu bekommen. Ein wenig davon war durchaus nötig gewesen, denn sie hatte versucht sich zu wehren. Doch ein paar kräftige Fausthiebe machten sie benommen. Körperlich war er ihr so weit überlegen, dass es kein großes Problem darstellte, sie unter Kontrolle zu bekommen und dorthin zu verfrachten, wo er sie haben wollte.
    Spontan war es geschehen, aus dem Moment heraus. Er nutzte die Gelegenheit, die er besser nicht hätte planen können, als sie sich bot. Wie gut, dass er ihr an diesem Nachmittag gefolgt war. Fast schon glaubte er an Bestimmung, ans Schicksal, dass sie heute zu Fuß gehen und dann diesen Weg nehmen ließ. Ein Haufen Glück für ihn und Pech für das Mädchen, der alte Sack in seinem Mercedes und auch sein eigenes Manipulationsgeschick hatten diesen Hergang erst ermöglicht.
    Dem alten Mann war in der Bücherei anscheinend aufgefallen, dass

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