Fieber
Monolog über die Fehlerhaftigkeit des verhaltenstheoretischen Ansatzes der Psychologie fortsetzte.
»Hast du keine Lust, heute einmal ins Labor zu kommen?« fragte Charles, nachdem wieder längere Zeit Schweigen geherrscht hatte. »Meine Arbeit geht ausgezeichnet voran. Ich glaube, ich stehe kurz vor einer Art Durchbruch. Es wäre schön, wenn ich dir das einmal zeigen könnte.«
»Heute kann ich nicht«, sagte Chuck schnell. Das letzte, was er wollte, war, durch das Institut geführt zu werden, wo jeder vor Charles, dem großartigen Wissenschaftler, einen Kotau machte. Ihm war das jedesmal schrecklich unangenehm, besonders weil er überhaupt nichts von den Dingen verstand, die Charles machte. Die Erklärungen seines Vaters setzten immer bei einem Punkt an, der schon turmhoch über dem lag, was er noch begriff. Und so wurde er ständig von der Angst gequält, daß Charles eine Frage stellen könnte, die die Tiefe seines Unwissens bloßlegen würde.
»Du kannst kommen, wann es dir paßt, Chuck.« Charles hatte sich immer gewünscht, daß Chuck seine Begeisterung für die Forschung einmal teilen würde. Aber Chuck hatte nie auch nur das geringste Interesse gezeigt. Charles hatte gedacht, daß der Junge die Wissenschaft nur im praktischen Experiment erleben müßte, um unwiderstehlich davon angezogen zu werden.
»Es geht heute wirklich nicht. Ich habe den ganzen Tag Termine.«
»Das ist schade«, sagte Charles. »Vielleicht klappt es morgen.«
»Ja, vielleicht morgen«, antwortete Chuck.
An der Huntington Avenue stieg Chuck aus und verabschiedete sich mit einem mechanischen auf Wiedersehen. Charles sah ihm nach, wie er durch den nassen Schnee Bostons davonging. Er sah aus wie eine Karikatur auf die späten sechziger Jahre, irgendwie am falschen Platz, sogar zwischen seinen Altersgenossen. Die anderen Studenten erschienen Charles aufgeweckter, sie achteten mehr auf ihre äußere Erscheinung und standen fast ausnahmslos in Gruppen herum. Chuck ging allein. Charles fragte sich, ob Chuck vielleicht von allen am meisten unter Elisabeths Krankheit und Tod gelitten hatte. Er hatte gehofft, das Cathryns Gegenwart helfen würde, aber seit ihrer Heirat hatte sich Chuck nur noch weiter zurückgezogen. Charles lenkte den Wagen zurück auf die Straße und fuhr über den Fenway Richtung Cambridge.
2. Kapitel
Als er auf der Boston University Bridge den Charles River überquerte, begann Charles seinen Tag zu planen. Es war unendlich viel leichter, sich mit den Schwierigkeiten des innerzellulären Lebens zu beschäftigen, als mit den Problemen der Kindererziehung. Am Memorial Drive bog Charles rechts ab, ein Stück weiter fuhr er links auf den Parkplatz des Weinburger-Forschungsinstituts. Seine Stimmung besserte sich. Als Charles aus dem Wagen stieg, bemerkte er, daß bereitseine auffallend große Zahl anderer Wagen auf dem Parkplatz abgestellt war. Das war so früh am Morgen ungewöhnlich. Sogar der blaue Mercedes des Direktors stand schon an seinem Platz. Gedankenverloren blieb Charles einen Augenblick trotz des ungemütlichen Wetters stehen, dann ging er hinüber zum Institut. Es war ein modernes vierstöckiges Gebäude mit großen Glasflächen, irgendwie dem nahegelegenen Hyatt Hotel sehr ähnlich, aber ohne dessen Pyramidenprofil. Der Bau lag direkt am Ufer des Charles River, zwischen Harvard und dem M.I.T. und genau gegenüber konnte man die Boston University sehen. Es war also kein Zufall, daß das Institut keine Nachwuchsprobleme hatte.
Noch bevor Charles den Eingang erreicht hatte, konnte die Empfangsdame ihn durch die Spiegeltür näher kommen sehen. Sie drückte auf einen Knopf, und das dicke Glas glitt nach beiden Seiten auf. Die Sicherheitsbestimmungen waren streng, nicht nur wegen der kostbaren Instrumente, sondern auch, weil einige Forschungsprojekte erhöhte Vorsicht verlangten, besonders die Genforschung. Charles betrat die mit Teppichboden ausgelegte Empfangshalle und begrüßte die schüchterne Miß Andrews, die gerade erst eingestellt worden war. Sie senkte ihren Kopf und beobachtete Charles unter ihren sorgsam getuschten Augenwimpern. Charles fragte sich, wie lange sie wohl bleiben würde. Das Arbeitsleben der Empfangsdamen des Instituts war für gewöhnlich nur kurz.
Mit überdeutlich gespieltem Zögern blieb Charles vor dem zentralen Aufgang stehen und trat einige Schritte zurück, um in den Warteraum sehen zu können. Unter einer Dunstglocke von Zigarettenqualm sah er eine kleine Gruppe
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