Fieber
angerufen, als du noch nicht hier warst.«
»Dr. Morrison kann warten«, sagte Charles. »Erst will ich die Arbeit angefangen haben.«
Cathryn war verärgert über Charles. Und sie gehörte nicht zu den Leuten, die solche Gefühle unterdrückten. Außerdem fühlte sie sich im Recht. Angesichts von Michelles Nasenbluten hätte er seinen geheiligten Tagesplan ruhig ändern und Michelle selbst ins Krankenhaus fahren können. Immerhin war er der Arzt. Ihre Fantasie quälte Cathryn mit schrecklichen Bildern. Michelles Nasenbluten verschmierte den ganzen Wagen. Konnte sie zu Tode bluten? Cathryn war sich nicht sicher, aber die Möglichkeit erschien ihr real genug, daß sie von neuem Angst befiel. Cathryn haßte alles, was mit Krankheit, Blut und Krankenhäusern verbunden war. Warum das so war, wußte sie eigentlich nicht. Obwohl ihre schlimmen Erfahrungen mit einer Blinddarmvereiterung, die sie mit zehn Jahren hatte, sicherlich ihren Teil dazu beigetragen hatten. Die Ärzte hatten Probleme gehabt, die richtige Diagnose zu stellen, erst ihr Hausarzt und dann im Hospital. Noch heute konnte sie sich genau an die weiß gefliesten Wände erinnern und an den Geruch der antiseptischen Mittel, der überall in der Luft hing. Doch das schlimmste waren die Torturen der Vagina-Untersuchung gewesen. Niemand hatte vorher versucht, ihr etwas zu erklären. Sie war einfach niedergehalten worden. Charles wußte das alles, und trotzdem hatte er darauf bestanden, zur gewohnten Zeit ins Labor fahren zu können und daß sie Michelle zum Krankenhaus begleiten sollte.
Cathryn überlegte, daß alles schon viel besser wäre, wenn sie wenigstens zu dritt wären. Sie ging zum Telefon in der Küche, um Marge Schönhauser anzurufen. Vielleicht konnte sie Marge nach Boston mitnehmen. Wenn Tad noch immer im Krankenhaus lag, war das gar nicht so unwahrscheinlich. Nach dem zweiten Klingeln meldete sich jemand. Es war Nancy, die sechzehnjährige Tochter der Schönhausers.
»Meine Mutter ist schon im Krankenhaus.«
»Ich wollte auch nur einmal fragen«, sagte Cathryn. »Ich rufe nachher noch einmal an, wenn ich in Boston bin. Aber wenn ich deine Mutter nicht erreiche, sag ihr bitte, daß ich angerufen habe.«
»Bestimmt«, antwortete Nancy. »Ich weiß, daß sie sich freuen wird.«
»Und wie geht es Tad?« fragte Cathryn. »Kommt er bald nach Hause?«
»Es geht ihm sehr schlecht, Mrs. Martel. Die Ärzte mußten ihm Knochenmark transplantieren. Wir Kinder sind alle untersucht worden, ob wir als Spender in Frage kommen. Aber nur die kleine Lisa war geeignet. Er liegt unter einem Zelt, das ihn vor Bakterien schützen soll.«
»Das tut mir furchtbar leid«, sagte Cathryn. Sie fühlte ihre letzte innere Kraft dahinschwinden. Zwar konnte sie sich nicht vorstellen, was eine Knochenmarktransplantation war, aber es hörte sich ernst und furchterregend an. Dann verabschiedete sie sich von Nancy und legte auf. Einen Moment blieb Cathryn stumm sitzen und dachte sorgenvoll an ihre nächste Begegnung mit Marge. Wie mochte sie sich jetzt so allein fühlen? Cathryn machte sich Vorwürfe, daß sie nicht früher angerufen hatte. Tads Krankheit ließ ihre eigene Angst über Michelles Nasenbluten unbedeutend erscheinen. Sie holte tief Luft und ging hinüber ins Wohnzimmer.
Michelle lag auf der Couch und sah sich im Fernsehen die Today-Show an. Nachdem sie sich ein wenig ausgeruht und noch etwas Orangensaft getrunken hatte, fühlte sie sich schon viel besser. Aber ihre innere Unruhe war noch da. Bestimmt war Charles enttäuscht von ihr, auch wenn er nichts gesagt hatte. Ihr Nasenbluten hatte alles nur noch schlimmer gemacht.
»Ich habe bei Dr. Wiley angerufen«, sagte Cathryn so unbekümmert wie möglich. »Die Schwester hat gesagt, wir sollen am besten sofort kommen. Sonst müssen wir vielleicht lange warten. Also laß uns dann losfahren.«
»Ich fühl’ mich schon viel besser«, sagte Michelle. Sie versuchte ein Lächeln, aber ihre Lippen zitterten.
»Sehr schön«, sagte Cathryn. »Aber bleib ruhig liegen. Ich hole deinen Mantel und alles andere.« Sie ging zur Treppe.
»Cathryn, ich glaub’, es ist alles wieder gut. Ich kann jetzt auch zur Schule gehen.« Wie um das letzte zu beweisen, warf Michelle ihre Beine über den Rand der Couch und stand auf. Ein neuer Schwächeanfall ließ ihr Lächeln verschwimmen.
Cathryn hatte sich umgedreht und sah zu ihrer Adoptivtochter. Eine tiefe Zuneigung für das kleine Mädchen, dasCharles so liebte, durchströmte
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