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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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graue Augen blickten so entschlossen und eindringlich, wie sie es bei einem Menschen vermochten. Doch Julian ist überhaupt kein Mensch, dachte Marsh.
    Kurt kehrte schon nach wenigen Augenblicken zurück. Sour Billy mußte sich draußen aufgehalten haben, wie ein Sklave, der auf den Ruf seines Herrn wartet. Kurt begab sich wieder zu seinem Platz. Sour Billy kam zum Kopfende der Tafel, trug etwas auf den Armen und hatte den Ausdruck einer seltsamen Erregung in den eisig blickenden Augen.
    Damon Julian wischte die Teller mit einem Arm beiseite und schaffte auf dem Tisch Platz. Sour Billy wickelte seine Last aus und setzte einen kleinen braunhäutigen Säugling vor Joshua York auf die Tischdecke.
    »Was soll das, zur Hölle? « brüllte Marsh. Er stieß sich vom Tisch ab, in seinen Augen loderte der nackte Zorn, und er machte Anstalten, sich zu erheben.
    »Setz dich und bleib hübsch ruhig, mein Junge!« sagte Sour Billy mit flacher leiser Stimme. Marsh wollte sich zu ihm umdrehen und spürte plötzlich, wie sich ihm etwas Kaltes und sehr Scharfes von der Seite gegen den Hals preßte. »Wenn du den Mund aufmachst, dann ritz ich dich auf, bis dein Blut fließt«, versprach Sour Billy. »Und kannst du dir vorstellen, was sie tun, wenn sie das viele schöne heiße Blut sehen.«
    Zitternd, zwischen Zorn und Entsetzen hin und her gerissen, saß Abner Marsh sehr still. Die Spitze von Billys Messer drückte etwas stärker, und Marsh spürte, wie ihm etwas Warmes und Nasses in den Kragen sickerte. »Gut«, flüsterte Billy, »richtig brav.«
    Joshua York blickte kurz zu Marsh und Sour Billy, dann wandte er die Aufmerksamkeit wieder Julian zu. »Ich finde das geradezu obszön«, sagte er kalt. »Julian, ich weiß nicht, warum Sie das Kind haben herbringen lassen, aber es gefällt mir nicht. Dieses Spiel wird auf der Stelle abgebrochen. Sagen Sie Ihrem Mann, er soll sein Messer vom Hals des Kapitäns nehmen.«
    »Ah«, sagte Julian, »und wenn ich es nicht tue?«
    »Sie werden es tun«, sagte Joshua. »Ich bin Blutmeister.«
    »Sind Sie das?« fragte Julian mit sichtlich verhaltenem Spott.
    »Ja, und mir gefallen Ihre Methoden der Gewalt nicht, Julian, aber wenn ich mich dazu gezwungen sehe, dann kann ich sie ebenfalls anwenden.«
    »Ah«, sagte Julian. Er lächelte, stand auf, streckte sich träge wie eine große Katze, die aus einem kleinen Schläfchen aufgewacht war, und streckte eine Hand über den Tisch Sour Billy entgegen. »Billy, gib mir dein Messer!« befahl er.
    »Aber - was ist mit ihm?« fragte Sour Billy.
    »Captain Marsh wird sich jetzt ruhig verhalten«, sagte Julian. »Das Messer.«
    Billy reichte es ihm mit dem Griff voran.
    »Sehr gut«, sagte Joshua.
    Er kam nicht weiter. Das Baby - winzig klein, mager, sehr braun und sehr nackt - gab ein gurgelndes Geräusch von sich und regte sich schwach. Und Damon Julian tat das Schrecklichste, das Abner Marsh in seinem ganzen Leben je gesehen hatte. Geschmeidig und sehr betont beugte er sich über den Tisch, holte mit Sour Billys Messer aus und trennte die kleine rechte Hand des Säuglings mit einem einzigen schnellen Hieb glatt ab.
    Das Baby begann zu schreien. Blut spritzte über den Tisch, auf die Kristallgläser und das Besteck und die feine weiße Leinentischdecke. Das Baby strampelte schwach, und Blut sammelte sich auf dem Tisch zu einer Pfütze. Und Julian spießte die abgetrennte Hand - sie war so unendlich klein, kaum so groß wie Abner Marshs großer Zeh - auf die Spitze von Billys Messer. Er hielt sie hoch, bluttriefend, und zeigte sie Joshua York. »Trinken Sie!« sagte er, und alle Leichtigkeit war aus seiner Stimme verschwunden.
    York schlug das Messer beiseite. Es rutschte aus Julians Hand und landete mit der immer noch aufgespießten Babyhand zwei Meter weiter auf dem Teppich. Joshua sah aus wie der leibhaftige Tod. Er beugte sich vor, legte je einen Finger auf beide Seiten des hin und her zuckenden Handgelenks des Kindes und drückte zu. Die Blutung versiegte. »Eine Kordel!« befahl er.
    Niemand rührte sich. Der Säugling schrie noch immer . . .
    »Es gibt einen einfacheren Weg, das Kind zum Schweigen zu bringen«, sagte Julian. Er streckte seine eigene harte fahle Hand aus und legte sie dem Baby auf den Mund. Die Hand umschloß den kleinen braunen Kopf vollständig und erstickte jeden Laut. Julian drückte zu.
    »Lassen Sie los!« brüllte York. »Sehen Sie hin!« erwiderte Julian. »Schauen Sie mich an, Blutmeister! «
    Und ihre Blicke trafen sich,

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