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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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als sie beide am Tisch standen, die Hand eines jeden auf einem winzigen braunen Stück Mensch vor ihnen.
    Abner Marsh saß reglos da, wie vom Donner gerührt, vor Übelkeit schwach und rasend vor Zorn und vom Wunsch getrieben, etwas zu tun, aber irgendwie unfähig, sich zu rühren. Wie alle anderen starrte er auf York und Julian, die eine unheimliche stumme Schlacht des Willens ausfochten.
    Joshua York zitterte. Sein Mund war wütend zusammengekniffen, die Muskelstränge traten ihm am Hals hervor, und die grauen Augen waren so kalt und zwingend wie Packeis. Er stand da wie ein Besessener, ein fahler Gott in Weiß und Blau und Silber. Es gibt nichts, was diesem Willen, dieser Kraft widerstehen kann, dachte Marsh. Überhaupt nichts.
    Und dann sah er zu Damon Julian hinüber.
    Die Augen beherrschten das Gesicht: kalt, schwarz, bösartig, unerbittlich. Abner Marsh blickte einen winzigen Moment zu lange in diese Augen und fühlte sich plötzlich leicht benommen. Er hörte irgendwo Männer brüllen, weit entfernt, und in seinem Mund breitete sich warmer Blutgeschmack aus. Er sah alle die Masken sinken, die Damon Julian und Giles Lamont und Gilbert d’Aquin und Philip Caine und Sergej Alexow und tausend andere Namen hießen, Schicht für Schicht, und jede bestialischer als die vorhergehende, und am Ende, am Beginn, hatte dieses Ding keine Freundlichkeit, kein Lächeln, keine schönen Worte, keine elegante Kleidung oder Juwelen, das Ding hatte nichts Menschliches, war nichts Menschliches, es hatte nur den Durst, das Fieber, rot, rot , uralt und unstillbar. Es war urweltlich und unmenschlich, und es war stark. Es lebte und atmete und trank den Stoff der Angst in sich hinein, und es war alt, o so alt, älter als der Mensch und alle seine Werke, älter als die Wälder und Flüsse, älter als die Träume.
    Abner Marsh blinzelte, und ihm gegenüber, auf der anderen Seite des Tisches, war ein Tier, ein großes schönes Tier in Dunkelrot, und an ihm war nichts Menschliches, und die Linien seines Gesichts waren die Linien des Schreckens, und seine Augen - seine Augen waren rot, überhaupt nicht schwarz, rot, und sie leuchteten von innen heraus, und sie brannten geradezu, rot, glühend, durstig, rot .
    Joshua York ließ den Armstumpf des Kindes los. Ein letzter aufgestauter Blutstrom ergoß sich auf den Tisch. Einen Moment später erfüllte ein Laut wie ein nasses matschiges Knirschen den Salon.
    Und Abner Marsh, immer noch halb benommen, zog das lange Küchenmesser aus seinem Stiefel und sprang brüllend, rasend, um sich schlagend von seinem Sessel auf. Sour Billy versuchte ihn von hinten festzuhalten, aber Marsh war zu stark, zu wild. Er wischte Billy einfach beiseite und warf sich über die Tafel Damon Julian entgegen. Julian löste sich gerade rechtzeitig aus Joshua Yorks zwingendem Blick und wich zurück. Das Messer verfehlte sein Auge um den Bruchteil eines Zentimeters und hinterließ einen langen aufklaffenden Schnitt quer über die rechte Seite seines Gesichts. Blut quoll aus der Wunde, und Julian stieß ein tiefes kehliges Knurren aus.
    Dann packte jemand Marsh von hinten und riß ihn über den Tisch zurück und schleuderte ihn rückwärts quer durch den großen Salon, hob ihn hoch und warf ihn einfach, seine gesamten dreihundert Pfund, als wäre er ein federleichtes kleines Kind. Ein wilder Schmerz durchzuckte ihn, als er unsanft landete, doch irgendwie schaffte es Marsh, sich herumzurollen und auf die Füße zu kommen.
    Er sah, daß Joshua ihn geworfen hatte, und es war Joshua, der gleich wieder neben ihm stand, Joshua, dessen blassen Hände zitterten und in dessen grauen Augen die nackte Angst flackerte. »Laufen Sie, Abner«, stieß er hervor, »verschwinden Sie von Bord. Rennen Sie! « Hinter ihm am Tisch hatten die anderen sich erhoben. Weiße Gesichter, zwingend blickende Augen, Hände, blaß und hart und zupackend. Katherine lächelte, sie lächelte ihn in der gleichen Weise an wie zu dem Zeitpunkt, als sie ihn dabei überrascht hatte, wie er aus Joshuas Kabine kam. Der alte Simon zitterte. Sogar Smith und Brown kamen langsam auf ihn zu, träge, umringten ihn, und ihre Augen blickten nicht freundlich, und ihre Lippen glänzten feucht. Sie bewegten sich, alle, die im Salon waren, und Damon Julian kam um den Tisch herum, fast lautlos, und das Blut auf seiner Wange trocknete, und der Schnitt schloß sich, während Marsh ihn noch betrachtete. Er schaute hinab auf seine Hände und stellte fest, daß er irgendwo das

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