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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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Kapitän kein Kopfzerbrechen verursachen. Er ist schließlich ein Wesen höherer Ordnung als sein Rind. Es liegt in seiner Natur, zu töten und zu verspeisen, und der Sinn der Kuh ist es, getötet und gegessen zu werden. Sie sehen, Joshua, das Leben ist wirklich sehr einfach.
    Ihr Irrtum rührt daher, daß Sie unter Rindern aufgezogen wurden, die Sie gelehrt haben, sie nicht zu verspeisen. Sie sprechen vom sogenannten Bösen. Woher haben Sie diese Ideen? Natürlich von ihm, vom Vieh. Gut und Böse, das sind Begriffe des Viehs, sinnleer, nur dazu gedacht, sein wertloses Leben zu erhalten. Sie leben und sterben in einem Zustand tödlicher Furcht vor uns, die wir ihnen von Natur aus überlegen sind. Wir verfolgen sie sogar in ihren Träumen, daher suchen sie ihren Trost in Lügen und erfinden Götter, die Macht über uns haben, und wollen um jeden Preis glauben, daß Kreuze und Weihwasser uns bezwingen können.
    Sie müssen begreifen, Joshua, daß es überhaupt kein Gut oder Böse gibt, sondern nur Stärke und Schwäche, Meister und Sklaven. Sie reden wie im Fieber von ihrer Moral, von Schuld und Schande. Wie närrisch das ist! Denn dies sind ihre Worte, und nicht unsere. Sie predigen einen neuen Beginn, aber was sollen wir beginnen? So zu sein wie das Vieh? Unter ihrer Sonne zu verbrennen, zu arbeiten, wo wir uns eigentlich nehmen können, was wir wollen, uns den Viehgöttern zu unterwerfen? Nein. Sie sind Tiere, uns von Natur aus unterlegen, unsere herrliche und schöne Beute. Das ist der Stand der Dinge.«
    »Nein«, widersprach Joshua York. Er schob seinen Sessel zurück und erhob sich, so daß er hinter dem Tisch aufragte wie ein bleicher schlanker Goliath. »Sie denken, sie träumen, und sie haben eine Welt aufgebaut, Julian. Sie irren sich. Wir sind Vettern, beide Seiten ein und derselben Münze. Sie sind keine Beute. Sehen Sie sich doch nur an, was sie alles geschaffen haben! Sie bringen Schönheit in diese Welt. Was haben wir geleistet? Nichts. Der rote Durst ist unser Fluch gewesen.«
    Damon Julian seufzte. »Ach, armer Joshua«, sagte er. Er trank seinen Brandy. »Soll das Vieh doch erschaffen - Leben, Schönheit, was Sie wollen. Und wir nehmen ihre Schöpfungen, benutzen sie, vernichten sie auch, wenn uns der Sinn danach steht. So ist es nun einmal. Wir sind die Meister. Meister arbeiten nicht. Sollen sie die Kleider schneidern. Wir tragen sie dann. Sollen sie die Dampfschiffe erbauen. Wir fahren damit. Sollen sie ruhig von einem ewigen Leben träumen. Wir leben es, und wir trinken von ihrem Leben und genießen das Blut. Wir sind die Herren dieser Erde, und das ist unsere Herkunft. Unser Schicksal, wenn Sie so wollen, lieber Joshua. Ergeben Sie sich Ihrer Natur, Joshua, versuchen Sie nicht, sie zu ändern. Das Vieh, das uns richtig kennt, beneidet uns. Jeder würde gern so sein wie wir, wenn er die Wahl hätte.« Julian lächelte maliziös. »Haben Sie sich denn niemals gefragt, warum dieser Jesus Christus, den sie anbeten, von seinen Anhängern verlangt hat, sie sollten von seinem Blut trinken, wenn sie ewig leben wollten?« Er kicherte verhalten. »Sie brennen darauf, genauso zu sein wie wir, so wie die Schwarzen davon träumen, weiß zu sein. Sie sehen ja, wie weit sie gehen. Um Meister spielen zu können, versklaven sie sogar Vertreter ihrer eigenen Art.«
    »So wie Sie es tun, Julian«, entgegnete Joshua York drohend. »Wie würden Sie denn die Gewalt sonst nennen, die Sie auf unser Volk ausgeübt haben? Sogar diejenigen, die Sie Meister nennen, machen Sie zu Sklaven Ihres eigenen kranken Willens.«
    »Sogar bei uns gibt es Starke und Schwache, lieber Joshua«, sagte Damon Julian. »Ist doch naheliegend, daß die Starken die Führung übernehmen sollten.« Julian stellte sein Glas hin und blickte zum anderen Ende des Tisches. »Kurt«, sagte er dann, »ruf Billy herein!«
    »Jawohl, Damon«, erwiderte der große Mann und erhob sich. »Wohin wollen Sie?« fragte Joshua, während Kurt den Raum verließ, wobei sein Ebenbild durch ein Dutzend Spiegel wanderte.
    »Sie haben lange genug die Rolle des Viehs gespielt, Joshua«, meinte Julian. »Ich werde Sie lehren, was es bedeutet, ein Meister zu sein.«
    Abner Marsh fror plötzlich und verspürte Angst. Alle Augen im Saal wirkten glasig und waren wie gebannt auf die Vorgänge am Kopfende der Tafel gerichtet. Stehend schien Joshua York den sitzenden Damon Julian geradezu zu erdrücken, dennoch wirkte er nicht wie die dominierende Persönlichkeit. Joshuas

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