Fiebertraum
Quatsch sowieso nicht glauben, dieses Blutsaufen und Umherschleichen bei Nacht und dieses Trinken einer widerlichen Flüssigkeit. All das ist nur ein Fiebertraum gewesen, dachte Abner Marsh. Aber nun war das Fieber von ihm gewichen, nun konnte er sein Leben hier in St. Louis fortsetzen.
Marsh bestellte sich noch einen Kaffee. Sie werden weiterhin töten, dachte er im stillen, während er ihn trank, sie werden weiter Blut saufen und morden, und niemand hindert sie daran. »Ich kann sowieso nichts tun«, murmelte er. Er hatte sich Mühe gegeben, hatte alles versucht, er und Joshua und Hairy Mike und der arme alte Mister Jeffers, der nun niemals mehr eine Augenbraue heben oder eine Schachfigur bewegen würde. Es hatte sie nicht weitergebracht. Und es hätte auch keinen Sinn, sich an die Behörden zu wenden, jedenfalls nicht mit der Geschichte von einer Bande Vampire, die seinen Dampfer gestohlen hatte. Sie würden an die Meldungen von dem Gelbfieber glauben und annehmen, daß sein Kopf dabei irgend etwas abbekommen habe, und ihn vielleicht sogar einsperren.
Abner Marsh bezahlte seine Rechnung und ging zum Büro der Fevre River Packets zurück. Auf dem Pier wimmelte es von Menschen und hektischer Betriebsamkeit. Über allem spannte sich ein klarer blauer Himmel, und der Fluß lag glänzend und glatt im Sonnenschein, und die Luft hatte ein würziges Aroma, einen Duft von Qualm und Dampf, und er hörte die Pfeifen der Schiffe auf dem Fluß, wenn sie einander passierten, und das volltönende Glockengeläut eines Seitenraddampfers, der gerade einlief. Die Maate schimpften und fluchten, und die Schauerleute sangen, während sie Fracht verluden, und Abner Marsh stand da und schaute und lauschte. Das war sein Leben, das andere konnte nur ein Fiebertraum gewesen sein. Die Vampire töteten schon seit Tausenden von Jahren, hatte Joshua ihm erklärt, also wie konnte er, Marsh, ernsthaft hoffen, daran etwas zu ändern? Vielleicht hatte Julian so oder so recht. Es lag in ihrer Natur zu töten. Und es war Abner Marshs Natur, ein Dampfbootmann zu sein, nichts sonst, er war kein Kämpfer, York und Jeffers hatten versucht zu kämpfen, und sie hatten dafür teuer bezahlt.
Als er das Büro betrat, hatte Marsh soeben entschieden, daß Dan Albright völlig recht hatte. Er würde die Fiebertraum abschreiben, würde alles vergessen, was geschehen war, das war wohl das Vernünftigste. Er würde seine Firma leiten und vielleicht ganz gut verdienen, und in einem oder zwei Jahren hätte er vielleicht genug beisammen, um ein weiteres Schiff bauen zu lassen, ein größeres.
Green huschte im Büro umher. »Ich hab’ zwanzig Briefe geschrieben, Cap’n«, sagte er zu Marsh. »Ich hab’ sie auch schon aufgegeben, wie Sie’s verlangt haben.«
»Sehr gut«, sagte Marsh und sank in einen Sessel. Beinahe setzte er sich dabei auf die Gedichtbände, die er in seine Tasche gezwängt hatte. Er zog sie heraus und blätterte sie schnell durch, las einige Titel, dann legte er sie beiseite. Es waren wirklich nur Gedichte. Marsh seufzte. »Holen Sie die Bücher her, Mister Green«, sagte er. »Ich möchte mal einen Blick hineinwerfen.«
»Jawohl, Cap’n«, sagte Green. Er ging zu einem Schrank und holte sie hervor. Dann gewahrte er noch etwas anderes, hob es hoch und brachte es zusammen mit den Hauptbüchern zu Marsh. »Da«, sagte er, »das hätte ich beinahe vergessen.« Er reichte Marsh ein großes Paket, das in braunes Packpapier eingeschlagen und mit einer Kordel umwickelt war. »Irgendein kleiner Mann hat es vor etwa drei Wochen vorbeigebracht, sagte dazu, Sie hätten es eigentlich abholen wollen, wären aber nicht erschienen. Ich meinte darauf, Sie seien noch mit der Fiebertraum unterwegs, und bezahlte ihn. Ich hoffe, das war in Ordnung.«
Abner Marsh betrachtete stirnrunzelnd das Paket, zerriß die Kordel mit bloßer Hand und fetzte das Papier herunter, um den Karton zu öffnen. Darin lag eine brandneue Kapitänsjacke, weiß wie der Schnee, der den Oberlauf des Flusses im Winter bedeckt, unberührt und rein, mit einer Doppelreihe blitzender Silberknöpfe, und mit dem Namen Fiebertraum in erhabenen Lettern als Inschrift auf jedem. Er nahm die Jacke heraus, und der Karton rutschte auf den Fußboden, und plötzlich, endlich, kamen ihm die Tränen.
» Raus! « brüllte Marsh. Der Agent blickte ihm ins Gesicht und verschwand. Abner Marsh erhob sich, zog die weiße Jacke an und schloß die Silberknöpfe. Sie paßte wunderbar. Sie war kühl, viel
Weitere Kostenlose Bücher