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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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bringen. Er übernahm sogar eine Gewohnheit von Joshua und fing an, Zeitungen von allen Ecken und Ende des Flußnetzes zu kaufen; seine Abende verbrachte er dann damit, die Speditionsannoncen, die Schiffahrtswerbung, die Listen der Ankunfts- und Abfahrtszeiten von Dampfschiffen in Städten, so weit entfernt wie Cincinnati und New Orleans und St. Paul, zu studieren. Er besuchte das Planters’ House und andere Flußherbergen noch häufiger, als es seine Gewohnheit war, und stellte tausend Fragen.
    Und er erfuhr nichts. Die Fiebertraum war verschwunden, so schien es, einfach vom Fluß weggewischt. Niemand hatte sie gesehen. Niemand hatte mit Whitey Blake oder Mister Framm oder Hairy Mike geredet oder irgend etwas von ihnen gehört. In den Zeitungen stand nichts von ihrem Kommen und Gehen.
    »Das leuchtet mir nicht ein«, klagte Marsh laut vor den Offizieren der Eli Reynolds eine Woche vor ihrer Abfahrt. »Sie ist hundertzwanzig Meter lang, nagelneu, schnell genug, daß jedem Dampfschiffer die Tränen in die Augen steigen. Ein solches Schiff muß einfach bemerkt werden.«
    »Es sei denn, sie ist untergegangen«, äußerte Cat Grove, der kleine drahtige Maat der Eli Reynolds . »Es gibt Stellen in diesem Fluß, die tief genug sind, um ganze Städte zu verschlingen. Sie könnte auch mit Mann und Maus gesunken sein.«
    »Nein«, beharrte Marsh stur. Er hatte ihnen nicht die ganze Geschichte erzählt. Wie hätte er das auch tun sollen? Keiner von ihnen war an Bord der Fiebertraum gewesen; sie würden ihm niemals Glauben schenken. »Nein, sie ist nicht gesunken. Sie ist irgendwo da unten und versteckt sich vor mir. Aber ich werde sie finden.«
    »Wie?« fragte Yoerger, der Kapitän der Eli Reynolds .
    »Der Mississippi ist ein langer Fluß«, gab Marsh zu, »und er hat eine Menge Seitenarme und Zuflüsse und Bayous, Abkürzungen und Stichkanäle und Biegungen und alle möglichen Stellen, wo ein Dampfer sich verstecken kann und wo niemand ihn entdeckt. Aber der Fluß ist nicht so lang, als daß auf ihm nicht gesucht werden kann. Wir fangen an einem Ende an und bewegen uns zum anderen und fragen überall nach, und wenn wir in New Orleans eintreffen und sie noch immer nicht gefunden haben, dann können wir das gleiche auf dem Ohio und dem Missouri und dem Illinois und dem Yazoo und dem Red River tun - oder wo immer wir das verdammte Schiff vermuten mögen.«
    »Das könnte eine Weile dauern«, sagte Yoerger.
    »Und wenn schon.«
    Yoerger hob die Schultern, und die Offiziere der Eli Reynolds tauschten unsichere Blicke. Abner Marsh schaute finster in die Runde. »Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf, wie lange es dauern wird«, schnappte er. »Sorgen Sie nur dafür, daß Sie meinen Dampfer klarmachen, verstanden?«
    »Ja, Sir, Cap’n«, sagte Yoerger. Er war ein großer, vornübergebeugter, hagerer alter Mann mit einer ruhigen Stimme, und er arbeitete auf Dampfschiffen, seit es sie gab, daher konnte ihn nichts mehr überraschen, und der Ton seiner Stimme verkündete das auch.
    Als der Tag der Abreise kam, zog Abner Marsh seine weiße Kapitänsjacke mit der Doppelreihe Silberknöpfe an. Sie paßte ihm wie angegossen. Er nahm ein großzügiges Abendessen im Planters’ House ein - der Proviant auf der Eli Reynolds war nicht so berauschend, und der Koch wäre nicht einmal gut genug gewesen, Tobys Bratpfannen zu scheuern - und ging hinunter zur Anlegestelle.
    Die Eli Reynolds lag unter Dampf, wie Marsh voller Zufriedenheit bemerkte. Trotzdem bot sie keinen überwältigenden Anblick.
    Sie war ein Schiff für den Oberlauf, klein und schmal und flach für die seichten engen Flüßchen, wo sie normalerweise unterwegs war. Sie war weniger als ein Viertel so lang wie die verschwundene Fiebertraum und etwa nur halb so breit, und vollbeladen faßte sie gerade einhundertfünfzig Tonnen Fracht gegenüber den tausend Tonnen des größeren Schiffs. Die Eli Reynolds hatte nur zwei Decks; es gab kein Texas, und die Mannschaft bewohnte den vorderen Teil der Kabinen auf dem Kesseldeck. Sie nahm sowieso nur selten Passagiere auf. Ein einzelner großer Hochdruckkessel trieb ihr Heckrad an, und sie war so schlicht, wie ein solcher Schiffstyp nun einmal aussah. Sie hatten zur Zeit so gut wie keine Fracht geladen, und Marsh konnte den Kessel vorn gut erkennen. Reihen glatter geweißter Holzsäulen trugen die oberen Decks, sahen aus wie zerbrechliche Stelzen, und die Säulen, die das verwitterte Promenadendach stützten, waren quadratisch und so

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