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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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schlicht und einfach wie ein Holzzaun. Der hintere Radkasten war nicht mehr als eine rechteckige Holzkiste, das Heckrad wirkte wie nachträglich anmontiert, und die rote Farbe war von der langen Benutzung verblichen und streifig geworden. Ansonsten sah man überall die Farbe abblättern. Das Ruderhaus war ein Kasten aus Holz und Glas und saß mitten auf dem Dampfschiff, und die gedrungenen Schornsteine bestanden aus unverziertem schwarzen Eisenblech. Die Eli Reynolds zeigte ihr wahres Alter, als sie dort im Wasser lag; sie sah furchtbar müde aus und schien leichte Schlagseite zu haben, als wolle sie jeden Moment umkippen und sinken.
    Sie war überhaupt nicht mit der großen starken Fiebertraum zu vergleichen. Aber sie war alles, was er zur Verfügung hatte, und sie müßte ausreichen. Er ging hinunter zum Dampfer und kam an Bord über einen Steg, der vom Tritt unzähliger Stiefel abgenutzt war. Cat Grove erwartete ihn auf dem Vorderdeck. »Alles klar, Cap’n.«
    »Dann weisen Sie den Lotsen an, abzulegen und sie auf den Fluß zu bringen«, sagte Marsh. Grove rief den entsprechenden Befehl nach oben, und die Eli Reynolds stieß einen Pfiff aus. Der Laut wirkte dünn und klagend und hoffnungslos tapfer. Er polterte die steile enge Treppe zur Hauptkabine hinauf, die düster war und ihm ein Gefühl des Eingezwängtseins vermittelte, da sie gerade dreizehn Meter lang war. Der Teppich war stellenweise bis auf das Rückengewebe abgenutzt, und die Landschaften, die die Salontüren zierten, waren längst zur Unkenntlichkeit verblaßt. Die ganze Inneneinrichtung des Dampfers hatte einen Hauch von kaltem Essen und saurem Wein und Öl und Qualm und Schweiß an sich. Es war unangenehm heiß, und das einzige einfache Oberlicht war viel zu verschmutzt und verschmiert, um viel Licht hereinzulassen. Yoerger und der dienstfreie Lotse saßen an einem runden Tisch und tranken Kaffee, als Marsh hereinkam. »Ist der Talg an Bord?« erkundigte Marsh sich.
    Yoerger nickte. »Viel war es aber nicht, was ich an Talg gesehen habe«, stellte Marsh fest.
    Yoerger runzelte die Stirn. »Ich hatte mir gedacht, so wäre es Ihnen lieber, Cap’n. Wenn wir mehr geladen hätten, dann wären wir um einiges langsamer, und außerdem müßten wir öfter anhalten.«
    Abner Marsh ließ sich das durch den Kopf gehen und nickte dann zustimmend. »Gut«, sagte er, »das leuchtet mir ein. Wurde mein Paket geliefert?«
    »In Ihrer Kabine«, informierte Yoerger ihn.
    Marsh verabschiedete sich und begab sich in seinen Kabine. Die Koje knarrte, als er sich auf dem Rand niederließ, das Paket öffnete und das Gewehr und die Patronen herausnahm. Er untersuchte es sorgfältig, wog es in der Hand und visierte über den Lauf. Es vermittelte ihm ein gutes Gefühl. Ein gewöhnlicher Pistolen- oder Gewehrschuß macht den Angehörigen des Nachtvolks vielleicht nichts aus, doch dieses Gewehr war etwas anderes, hand- und maßgefertigt vom besten Waffenschmied in St. Louis. Es war eine Büffelflinte mit einem achteckigen kurzen Lauf, dazu bestimmt, aus dem Sattel abgefeuert zu werden und einen angreifenden Büffel auf der Stelle unschädlich zu machen.
    Die fünfzig eigens angefertigten Patronen waren größer, als je ein Waffenschmied sie hergestellt hatte. »Teufel auch«, hatte der Waffenschmied festgestellt, »die zerreißen das Jagdwild ja in tausend Stücke. Nichts wird davon übrigleiben.« Abner Marsh hatte dazu nur genickt. Das Gewehr war nicht für Schußgenauigkeit gebaut, vor allem hätte es sie nicht in Marshs Händen, aber das brauchte es auch nicht zu sein. Auf kurze Distanz würde es das Grinsen Damon Julians blitzartig aus dem Gesicht wischen und seinen gesamten Schädel gleich mit von den Schultern blasen. Marsh lud es sorgfältig und hängte es an die Wand über seinem Bett, damit er sich nur aufzusetzen brauchte, um es mit einer einzigen fließenden Bewegung herunterzuholen und in Anschlag zu bringen. Erst als er das ausprobiert hatte, streckte er sich in der Koje aus.
    Und so fing es an. Tag für Tag dampfte die Eli Reynolds weiter stromabwärts, bei Regen und Nebel, bei Sonnenschein und bedecktem Himmel, legte in jeder Stadt und an jeder Anlegestelle und an jedem Holzplatz an, um Erkundigungen einzuziehen. Abner Marsh saß oben auf dem Sturmdeck in einem Holzsessel neben der alten fleckigen Glocke des Dampfers und beobachtete Stunde für Stunde den Fluß. Manchmal aß er sogar seine Mahlzeiten da oben. Wenn er schlafen mußte, dann nahmen Kapitän

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