Fiebertraum
Flüstern, Klopfen, Betteln, Jammern, Drohungen. Stimmen, Abner, lebendige Menschenstimmen. Ich schaute mich um, und mir wurde noch elender. Mindestens ein Dutzend Kabinen war zugenagelt worden, und die Bewohner waren darin gefangen. Und warteten, so wußte ich, auf heute oder auf morgen abend. Julians lebendige Vorratskammer. Ich fing an zu zittern. Ich ging zur nächsten Tür und fing an, die Bretter herunterzureißen, die sie geschlossen hielten. Sie lösten sich mit lautem Quietschen und Knarren, fast wie mit einem Schmerzensschrei. Ich war immer noch mit dieser Tür beschäftigt, als er meinte: ›Lieber Joshua, hör sofort damit auf. Armer verirrter Joshua, komm zu uns zurück!‹
Als ich mich umwandte - waren sie plötzlich. Julian lächelte mich an, Sour Billy stand neben ihm, und die anderen, alle anderen, sogar meine eigenen Leute, Simon, Smith und Brown, alle, die noch übrig waren . . . schauten mich an. Ich schrie sie an, wild und unkontrolliert. Sie waren meinesgleichen, und dennoch hatten sie das getan, Abner. Ich war so voller Haß und Abscheu . . .
Später, mehrere Tage später erfuhr ich dann die ganze Geschichte, erhielt ich Kenntnis vom vollen Umfang von Julians Wahnsinn. Vielleicht war es meine Schuld, in gewisser Weise. Indem ich Sie und Toby und Mister Framm rettete, verursachte ich den Tod von mehr als hundert unschuldigen Passagieren.«
Abner Marsh schnaubte. »Nein«, sagte er, »was geschehen ist, ist allein Julian zuzuschreiben. Es war Julian, der es getan hat, und er muß sich dafür verantworten. Sie waren ja noch nicht einmal in der Nähe, also machen Sie sich auch keine Vorwürfe, hören Sie?«
Joshuas graue Augen waren voller Sorgen. »Das habe ich mir selbst schon mehrmals gesagt«, meinte er. »Lassen Sie mich meine Geschichte beenden. Folgendes war geschehen: Julian war an diesem Abend erwacht und hatte festgestellt, daß wir verschwunden waren. Er raste vor Wut. Er war wie ein wildes Tier. Seine Wut läßt sich wohl mit Worten nicht ausdrücken. Vielleicht war es auch der rote Durst, der in ihm erwachte, nach all den Jahrhunderten. Außerdem muß es für ihn ausgesehen haben, als stünde eine allgemeine Vernichtung bevor. Seine Lotsen waren weg. Der Dampfer konnte sich ohne Lotsen überhaupt nicht vom Fleck rühren. Und er muß gewußt haben, daß Sie vorhatten, zurückzukehren, bei Tag anzugreifen und ihn zu vernichten. Er vermutete wohl nicht, daß statt dessen ich zurückkäme. Zweifellos haben mein Verrat und Valeries Flucht ihn mit Angst erfüllt, mit Ungewißheit, was als nächstes geschehen konnte. Er hatte die Kontrolle verloren. Er war Blutmeister, und dennoch haben wir alle gegen seinen Willen gehandelt. In der langen Geschichte des Nachtvolkes ist so etwas bisher noch nie geschehen. Ich denke, daß in jener schrecklichen Nacht Damon Julian den Tod sah, nach dem er sich sehnte, den er aber auch gleichzeitig fürchtete.
Wie ich später erfuhr, drängte Sour Billy, daß sie alle an Land gehen und sich trennen sollten. Sie wollten getrennt weiterziehen und sich später in Natchez oder in New Orleans treffen. Das wäre vernünftig gewesen. Aber Julian war nicht mehr ansprechbar. Er hatte soeben die Hauptkabine betreten, der Wahnsinn loderte in seinen Augen, als ein Passagier auf ihn zutrat und sich beschweren wollte, daß der Dampfer längst Verspätung und sich einen ganzen Tag nicht von der Stelle gerührt habe. ›Aha‹, sagte Julian, ›dann müssen wir schnell etwas unternehmen.‹ Er ließ das Schiff etwas weiter in die Flußmitte manövrieren, damit niemand an Land konnte. Danach kehrte er in die Hauptkabine zurück, wo die Passagiere zu Abend aßen, trat zu dem Mann, der sich beschwert hatte, und tötete ihn vor den Augen aller Anwesenden.
Dann begann das Gemetzel. Natürlich schrien die Leute, rannten davon, versteckten sich und schlossen sich in ihren Kabinen ein. Aber es gab keinen sicheren Ort. Und Julian setzte seine Macht ein, benutzte seine Stimme und seine Augen und schickte seine Leute los zum Töten. Ich glaube, die Fiebertraum hatte an jenem Abend etwa hundertdreißig Passagiere an Bord sowie zwanzig Angehörige meines Volks, einige getrieben vom roten Durst, andere von Julians Einfluß. Aber der Durst kann in solchen Momenten furchtbar sein. Wie ein Fieber kann er von einem zum anderen springen, bis alle davon verzehrt werden. Sour Billy veranlaßte die Männer, die er in Natchez- under-the-Hill angeheuert hatte, ebenfalls in den Kampf
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