Fiebertraum
sie auf beiden Seiten. Es war ein nebliger kalter Abend, als ich mich ihr näherte, und sie wirkte völlig tot und dunkel. Kein Rauch, kein Dampf, nicht eine Flamme war zu sehen, so still war es, daß ich sie in dem Nebel beinahe verfehlt hätte. Ich wollte nicht, aber ich wußte, daß es sein müßte. Ich schwamm hinüber.« Er zögerte kurz. »Abner, Sie wissen ja, welches Leben ich geführt habe. Ich habe viele schreckliche Dinge gesehen und getan. Aber nichts war mit dem Zustand zu vergleichen, in dem ich den Dampfer vorfand, absolut nichts.«
Marshs Gesicht verhärtete sich. »Reden Sie weiter!«
»Ich erzählte Ihnen ja bereits, daß ich annahm, Damon Julian sei verrückt.« »Ich kann mich entsinnen.« »Verrückt und gedankenlos und voller Todesträume«, fuhr Joshua fort. »Und er hatte es bewiesen. O ja. Er hatte es bewiesen. Als ich an Deck kletterte, herrschte auf dem Dampfer Totenstille. Kein Laut, keine Bewegung, nur der Fluß, der rauschend vorbeiströmte. Ich wanderte unbehelligt durch das ganze Schiff.« Seine Augen waren auf Abner Marsh gerichtet, aber sie hatten einen weitentfernten, leicht glasigen Ausdruck, als sähen sie etwas anderes, etwas, das sie immer sahen. York verstummte.
»Erzählen Sie schon, Joshua!« drängte Marsh.
Yorks Mund wurde zu einem schmalen Strich. »Es war ein Schlachthaus, Abner.« Er ließ die simple Feststellung für einen Moment einfach in der Luft hängen, ehe er fortfuhr: »Überall lagen Leichen. Überall. Und auch nicht unversehrt. Ich ging über das Hauptdeck und fand Leichen . . . zwischen der Fracht und den Maschinen im hinteren Teil. Da waren . . . Arme, Beine, andere Körperteile. Losgerissen. Abgetrennt. Die Sklaven, die Heizer, die Billy gekauft hatte, die meisten trugen noch ihre Fesseln, tot, die Kehlen aufgerissen. Der Maschinist war mit dem Kopf nach unten über dem Kolben aufgehängt und aufgeschnitten worden . . . Er muß verblutet sein . . . als könnte Blut die Rolle von Schmieröl übernehmen.« Joshua schüttelte knapp den Kopf. »Diese große Zahl von Toten, Abner. Das können Sie sich nicht vorstellen. Und wie sie zerfetzt, verstümmelt waren. Der Nebel war ins Schiff eingedrungen, daher konnte ich das Grauen nicht in seinem ganzen Ausmaß auf Anhieb erkennen. Ich ging umher, wanderte herum, und die Dinge tauchten plötzlich vor mir auf, wo noch vor einem winzigen Augenblick gar nichts gewesen war, als undeutliche Schatten und ein dahintreibender Nebelschleier. Und ich sah das ganze Grauen, das der Nebel für meine Augen enthüllte, und ich wich zurück, tat zwei, drei Schritte, ehe der Dunst sich erneut verzog und weitere Schrecklichkeiten preisgab.
Schließlich, krank, niedergeschlagen und erschüttert, stieg ich die breite Treppe zum Kesseldeck hinauf. Der Salon . . . Dort sah es genauso aus. Leichen und Leichenteile. So viel Blut war vergossen worden, daß der Teppich noch immer triefnaß war, sogar nach dieser Zeit. Überall fand ich Zeichen des Kampfes. Dutzende von Spiegeln waren zerschlagen, drei oder vier Kabinentüren zertrümmert, Tische umgekippt worden. Auf einem Tisch, der immer noch auf seinen Beinen stand, befand sich ein menschlicher Kopf auf einem Silbertablett. Niemals habe ich Schlimmeres gesehen als in der Zeit, als ich durch den Salon schritt, insgesamt knapp hundert furchtbare Meter entlang. Nichts rührte sich in der Dunkelheit, in dem Nebel. Nichts Lebendiges sah ich. Ich ging ruhelos hin und her und wußte nicht, was ich tun sollte. Ich blieb vor dem Wasserkühler stehen, diesem großen, reich verzierten Ungetüm, den Sie am vorderen Ende der Kabine aufgestellt hatten. Meine Kehle war sehr trocken. Ich nahm eine der Silbertassen und drehte an dem Hahn. Das Wasser . . . das Wasser floß langsam, Abner. Sehr langsam. Sogar in der Dunkelheit des Salons konnte ich erkennen, daß es schwarz war und zähflüssig. Halb . . . geronnen.
Ich stand da, mit der Tasse in der Hand, schaute mich verständnislos um, und meine Nase füllte sich mit dem Geruch . . . diesem Geruch, ich brauche kaum zu erwähnen, daß der Geruch furchtbar war, er . . . aber ich glaube, das können Sie sich vorstellen. Ich stand inmitten diese grauenvollen Infernos und beobachtete das quälend langsame Heraussickern aus dem Wasserkühler. Ich hatte das Gefühl, als würde ich gleich ersticken. Mein Grauen, diese Wut, ich spürte . . . wie es in mir hochstieg. Ich schleuderte die Tasse quer durch die Kabine, und ich schrie.
Dann begannen die Laute.
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