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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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mußte an die Sicherheit meiner Leute denken. Ich hatte meine Wahl getroffen, Abner, und als alles vollbracht war, war ich zufrieden. Niemand würde uns finden. Die meisten Leichen waren verbrannt oder beerdigt. Julian hatte sich seit dem Abend seiner Niederlage kaum mehr blicken lassen. Er verließ seine Kabine nur, um zu essen. Sour Billy war der einzige, der mit ihm redete. Er hatte Angst und gehorchte ihm noch. Die anderen folgten mir und tranken mit mir. Ich hatte Billy befohlen, mein Elixier aus Julians Kabine zu holen und in das Regal hinter der Bar im Hauptsalon zu stellen. Wir tranken jeden Abend zum Abendessen davon. Nur ein Problem gab es noch zu lösen, ehe ich mir Gedanken über die Zukunft meiner Rasse machen konnte - unsere Gefangenen, jene Passagiere, die die Nacht des Schreckens überlebt hatten. Wir hatten sie in ihren Gefängnissen gelassen, während wir arbeiteten, aber keinem war ein Haar gekrümmt worden. Wir versorgten sie mit Speisen und Getränken. Ich redete sogar mit ihnen und versuchte sie zu überzeugen, aber es war sinnlos - wenn ich ihre Kabinen betrat, gerieten sie vor Entsetzen in Panik. Ich hatte keine Lust, sie für immer eingesperrt zu lassen, aber sie hatten alles gesehen, und ich wußte nicht, wie ich sie gefahrlos laufen lassen sollte.
    Dann löste sich das Problem von selbst. Eines Nachts verließ Damon Julian seine Kabine. Er lebte immer noch auf dem Dampfer, ebenso ein paar andere, nämlich die, die ihm am nächsten gestanden hatten. Ich war in dieser Nacht mit einigen anderen an Land gegangen und arbeitete im Haupthaus, das Julian schändlich hatte verkommen lassen. Als ich zur Fiebertraum zurückkehrte, stellte ich fest, daß zwei Gefangene aus ihren Kabinen herausgeholt und getötet worden waren. Raymond, Kurt und Adrienne saßen mit den Leichen im großen Salon und labten sich an ihnen, und Julian residierte am Kopf der Tafel.«
    Abner Marsh schüttelte den Kopf. »Verdammt, Joshua, Sie hätten ihn töten sollen, als Sie die Gelegenheit dazu hatten.«
    »Ja«, gab Joshua zu Marshs Verblüffung zu, »ich dachte, ich besäße die Herrschaft über ihn. Das war ein schwerer Irrtum. Natürlich versuchte ich an diesem Abend alles wiedergutzumachen. Ich raste vor Zorn. Ich beschimpfte ihn und war entschlossen, sein langes und ungeheuerliches Leben an diesem Abend zu beenden. Ich forderte ihn heraus, wollte ihn dazu zwingen, vor mir niederzuknien und mir sein Blut darzubieten, jeden Tag aufs neue, bis er leer und harmlos wäre. Er stand auf und sah mich an und . . . « York lachte bitter.
    »Er bezwang Sie?« fragte Marsh.
    Joshua nickte. »Ohne Mühe. So wie er es bisher immer geschafft hatte, bis auf einen einzigen Abend. Ich raffte meine ganze Energie zusammen, aber ich konnte ihm nicht standhalten. Ich glaube, nicht einmal Julian hatte etwas Derartiges erwartet.« Er schüttelte den Kopf. »Joshua York, der König der Vampire, versagte schon wieder. Zwei Monate hatte ich geherrscht. Und für die letzten dreizehn Jahre war Julian unser Meister gewesen.«
    »Und die Gefangenen?« fragte Marsh und kannte die Antwort bereits, hoffte aber, daß er sich irrte. »Tot. Julian und seine Gefährten holten sie in den folgenden Monaten nacheinander heraus.«
    Marsh verzog mitfühlend das Gesicht. »Dreizehn Jahre, das ist eine lange Zeit, Joshua. Warum sind Sie nicht einfach geflohen? Sie hatten doch sicher eine Gelegenheit dazu.«
    »Viele sogar«, gab Joshua York zu. »Ich glaube, es wäre Julian sogar ganz lieb gewesen, wenn ich verschwunden wäre. Er war schließlich tausend Jahre lang Blutmeister gewesen, und ich hatte ihn zwei Monate lang zum Sklaven gemacht. Immer wieder maßen wir unsere Kräfte, und immer wieder sah ich in seinen Augen plötzlich das Flackern der Unsicherheit, der Angst, daß er diesmal wieder besiegt würde. Aber es geschah nicht. Und ich blieb. Wohin hätte ich gehen sollen, Abner? Und was hätte ich tun können? Mein Platz war bei meinem Volk. Und die ganze Zeit über hoffte ich, daß ich sie eines Tages würde befreien können. Selbst in meiner Niederlage glaubte ich, daß meine Anwesenheit Julian irgendwie im Zaum hielt. Stets war ich es, der unsere Zweikämpfe auslöste, niemals er. Er versuchte auch niemals mehr, mich zum Töten zu zwingen. Als mein Elixier zur Neige ging, baute ich meine Geräte auf und braute mir einen frischen Vorrat, und Julian ließ mich gewähren. Er gestattete sogar anderen, sich zu beteiligen. Simon, Cynthia, Michel und noch

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