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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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Joshua York zur Anlegestelle geschlendert. Er sah nicht so aus wie jemand, der zwei Tage allein im Wald verbracht hatte. Seine Stiefel und seine Hosenbeine waren staubig, aber ansonsten sah seine Kleidung genauso elegant aus wie an dem Abend, an dem er das Schiff verlassen hatte. Sein Schritt war schnell, aber geschmeidig. Er stürmte die Landungsbrücke hinauf und lächelte, als er Jack Ely sah, den zweiten Maschinisten. »Holen Sie Whitey, und machen Sie Dampf«, meinte York zu Ely, »wir legen ab.« Dann, ehe jemand ihm eine Frage stellen konnte, war er die breite Treppe schon zur Hälfte hinaufgeeilt.
    Trotz seiner Verärgerung und seiner Unruhe, so stellte Marsh fest, war er über Joshuas Rückkehr doch erstaunlich erleichtert. »Los, lassen Sie die verdammte Glocke schlagen, daß die, die an Land gegangen sind, wissen, daß wir weiterfahren wollen«, forderte er Hairy Mike auf. »Ich will so schnell wie möglich draußen auf dem Fluß sein.«
    York hatte seine Kabine aufgesucht und wusch sich die Hände in der Waschschüssel, die auf seiner Schubladenkommode stand. »Abner«, sagte er höflich, als Marsh nach kurzem, donnergleichem Anklopfen hereinstürzte. »Meinen Sie, ich könnte Toby noch um ein sehr spätes Abendessen bitten?«
    »Erst einmal will ich wissen, warum wir soviel Zeit vergeudet haben«, sagte Marsh. »Verdammt noch mal, Joshua, ich weiß ja, Sie meinten, Sie würden sich gelegentlich etwas seltsam benehmen, aber zwei Tage ! So kann man kein Paketschiff betreiben, das muß ich Ihnen sagen.«
    York trocknete sich die langen, blassen Hände sorgfältig ab und wandte sich um. »Es war wichtig. Und ich warne Sie schon jetzt, daß es möglicherweise wieder vorkommen kann. Sie werden sich an meine Eigenheiten gewöhnen müssen, Abner, und dafür sorgen, daß man mir keine neugierigen Fragen stellt.«
    »Wir haben Fracht zu transportieren und Passagiere, die für eine Passage bezahlt haben und nicht dafür, auf irgendwelchen Holzplätzen herumzulungern. Was soll ich denen erzählen, Joshua?«
    »Was immer Sie wollen. Sie sind doch so klug, Abner. Ich habe das Geld in unsere Partnerschaft eingebracht. Dafür erwarte ich, daß Sie die Entschuldigungen finden.« Sein Tonfall war freundlich, aber bestimmt. »Falls es Sie tröstet, diese erste Fahrt dürfte die unangenehmste sein. Auf weiteren Fahrten rechne ich mit weniger von meinen geheimnisvollen Ausflügen. Sie werden Ihre Rekordfahrt bekommen, ohne daß ich Ihnen Schwierigkeiten mache.« Er lächelte. »Ich hoffe, das stellt Sie etwas zufrieden. Halten Sie Ihre Ungeduld im Zaum, Freund. In Kürze werden wir in New Orleans ankommen, und dann wird alles etwas einfacher werden. Können Sie das akzeptieren, Abner? Abner? Stimmt etwas nicht?«
    Abner Marsh hatte angestrengt auf etwas geschielt und York dabei gar nicht zugehört. Ihm wurde bewußt, daß sein Gesicht einen seltsamen Ausdruck zeigen mußte. »Nein«, sagte er hastig, »es waren nur die zwei Tage, die waren etwas unerfreulich. Aber das ist jetzt gleichgültig. Es macht überhaupt nichts aus. Was immer Sie wollen, Joshua.«
    York nickte, offensichtlich zufrieden. »Ich werde mich umziehen, dann werde ich Toby um eine Mahlzeit bitten, und anschließend komme ich ins Ruderhaus, um mehr über Ihren Fluß zu erfahren. Wer hat heute nacht Spätschicht?«
    »Mister Framm«, sagte Marsh.
    »Gut«, sagte York. »Karl ist sehr unterhaltsam.«
    »Das ist er«, pflichtete Marsh ihm bei. »Entschuldigen Sie mich, Joshua. Ich muß nach unten gehen und mich um einige Dinge kümmern, wenn wir heute noch ablegen wollen.« Er drehte sich ruckartig um und eilte aus der Kabine. Aber draußen, in der Hitze der Nacht, stützte Abner Marsh sich schwer auf seinen Spazierstock und starrte hinaus in die sternenübersäte Dunkelheit und versuchte sich wieder ins Bewußtsein zu rufen, was er quer durch die Kabine zu sehen geglaubt hatte.
    Wenn doch nur seine Augen besser wären. Wenn York doch nur beide Öllampen entzündet hätte, statt nur einer. Wenn er es doch nur gewagt hätte, etwas näher heranzugehen. Es war schwierig gewesen, es genau zu erkennen, ein gutes Stück entfernt auf der Schubladenkommode. Aber Marsh konnte es nicht aus seinem Gedächtnis verbannen. Das Tuch, an dem York sich die Hände abgewischt hatte, wies Flecken auf. Dunkle Flecken. Rötliche Flecken.
    Und sie hatten verdammt noch mal zu sehr nach Blut ausgesehen.

KAPITEL NEUN
 
An Bord des Raddampfers Fiebertraum Mississippi River, August

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