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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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niemals das gleiche Gesicht zeigte. Der obere Mississippi, wo Abner Marsh geboren worden war und sein Handwerk erlernt hatte, war eine völlig andere Gegend. Dort floß er zwischen hohen, felsigen Hängen dahin und verlief im wesentlichen gerade. Marsh stand lange oben auf dem Sturmdeck, betrachtete die vorbeigleitende Szenerie und versuchte ihre Andersartigkeit und ihre Auswirkung auf seine Zukunft zu spüren. Er war vom Oberlauf auf den Unterlauf des Flusses hinübergewechselt, dachte er, und somit in einen ganz neuen Lebensabschnitt.
    Kurz darauf hielt Marsh mit Jeffers in dessen Büro ein Schwätzchen, als er hörte, wie die Glocke dreimal anschlug. Es war das Signal zum Anlegen. Er runzelte fragend die Stirn und schaute aus Jeffers’ Fenster. Es war nichts zu sehen als bewaldete Ufer. »Ich möchte wissen, warum wir haltmachen«, sagte Marsh. »Der nächste Zwischenstop sollte New Madrid sein. Ich kenne diesen Teil des Flusses kaum, aber New Madrid ist das ganz bestimmt nicht.«
    Jeffers hob die Schultern. »Vielleicht hat uns jemand gewinkt.«
    Marsh entschuldigte sich und stieg hinauf ins Ruderhaus. Dan Albright stand am Ruderrad. »Hat jemand ein Signal gegeben?« erkundigte Marsh sich.
    »No, Sir«, antwortete Albright. Er gehörte zu der wortkargen Sorte. Er antwortete nur auf das, was man ihn fragte, und das sehr sparsam.
    »Wo legen wir an?«
    »An einem Holzplatz, Cap’n.«
    Marsh sah, daß voraus am Westufer tatsächlich ein Holzplatz lag. »Mister Albright, ich denke, wir haben erst vor einer Stunde frisches Holz geladen. Das kann doch nicht alles schon wieder verheizt sein. Hat Hairy Mike Ihnen gesagt, Sie sollen anlegen?« Der Maat hatte die Aufgabe, den Holzvorrat zu überwachen und darauf aufmerksam zu machen, wenn Nachschub gebraucht wurde.
    »Nein, Sir. Das geschieht auf Captain Yorks Befehl. Mir wurde mitgeteilt, ich solle an diesem speziellen Holzplatz anlegen, ob wir Holz brauchen oder nicht.« Albright wandte sich zu Marsh um. Er war ein hübscher kleiner Bursche mit einem schmalen dunklen Schnurrbart, einer roten Seidenkrawatte und Lederstiefeln. »Wollen Sie, daß ich weiterfahre?«
    »Nein«, sagte Abner Marsh hastig. York hätte ihm Bescheid sagen können, dachte er, aber ihre Abmachung gab Joshua das Recht, seltsame Befehle zu erteilen. »Wissen Sie, wie lange wir hier bleiben werden?«
    »York hat an Land zu tun. da er nie vor Einbruch der Dunkelheit aus seiner Kabine kommt, dann dürfte es wohl den ganzen Tag bis in die Nacht hinein dauern.«
    »Verdammt. Unser Fahrplan - die Passagiere werden mir jede Menge lästige Fragen stellen.« Marsh machte ein finsteres Gesicht. »Na ja, ich denke, daran kann man nichts ändern. Wenn wir schon mal hier sind, können wir auch gleich Holz nachladen. Ich kümmere mich darum.«
    Marsh handelte mit dem Jungen, der den Holzplatz leitete, einem schlanken Neger in einem leichten Baumwollhemd, einen erträglichen Preis aus. Viel schien der Neger vom Feilschen nicht zu halten; Marsh bekam von ihm Birkenholz zu Cottonwood-Preisen und überredete ihn, auch noch ein paar Tannenkloben dazuzupacken. Während die Schauerleute und die Deckshelfer herüberkamen, um mit dem Laden zu beginnen, schaute Marsh dem Farbigen in die Augen, lächelte und sagte: »Du bist neu hier, nicht wahr?«
    Der Junge nickte. »Yassuh, Cap’n.« Marsh nickte und schickte sich an, auf seinen Dampfer zurückzukehren, als der Junge fortfuhr: »Ich bin erst eine Woche hier, Cap’n. Der alte Weiße, der früher hier wohnte, wurde von Wölfen gefressen.«
    Marsh starrte den Jungen an. »Wir sind hier doch nur zwei Meilen von New Madrid entfernt, oder nicht, Junge?«
    »Das stimmt, Cap’n.«
    Als Abner Marsh auf die Fiebertraum kam, war er innerlich in Aufruhr. Verdammter Joshua York, dachte er. Was hatte der Mann vor, und warum mußten sie einen ganzen Tag an diesem verschlafenen Holzplatz vergeuden? Marsh hatte nicht übel Lust, zu Yorks Kabine hinaufzustürmen und ihm die Meinung zu sagen. Er zog diesen Schritt kurz in Erwägung, dann überlegte er es sich jedoch anders. Es ging ihn nichts an, rief Marsh sich ins Gedächtnis. Er fand sich damit ab, auf seinen Partner zu warten.
    Die Stunden verstrichen träge, während die Fiebertraum wie tot im Wasser vor dem Holzplatz lag. Ein Dutzend anderer Raddampfer glitten zu Abner Marshs Verärgerung in dieser Zeit flußabwärts. Fast ebenso viele waren flußaufwärts unterwegs. Die einzige Abwechslung des Nachmittags bot ein Messerduell

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