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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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1857
     
     
    E in langweiliger Tag nach dem anderen verstrich, als die Fiebertraum den Mississippi hinunterkroch.
    Ein schneller Raddampfer schaffte die Reise von St. Louis nach New Orleans und zurück in achtundzwanzig Tagen, und zwar mit Zwischenstops und gelegentlichen Landungen, mit über einer Woche Liegezeit im Hafen zum Be-oder Entladen und bei einigen Schlechtwetterperioden. Aber das Tempo der Fiebertraum war noch träger, sie würden wohl einen ganzen Monat brauchen, nur um New Orleans zu erreichen. Abner Marsh erschien es so, als hätten das Wetter, der Fluß und Joshua York sich miteinander verschworen, ihn aufzuhalten. Zwei Tag lang lag Nebel auf dem Wasser, so dicht und grau wie schmutzige Baumwolle; Dan Albright fuhr sechs Stunden lang mit dem Schiff weiter, lenkte es vorsichtig in dichte, wallende Nebelwälle hinein, die zerstoben und dem Dampfer Platz machten, bis Marsh nur noch ein Nervenbündel war. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten sie schon in dem Augenblick irgendwo angelegt, als der Nebel sich auf sie niedersenkte, anstatt die Fiebertraum in Gefahr zu bringen, aber draußen auf dem Fluß war es allein der Lotse, der solche Dinge entschied, nicht der Kapitän, und Albright setzte die Fahrt fort. Am Ende jedoch wurde sogar ihm der Nebel zu dicht, und sie verloren eineinhalb Tage an einer Anlegestelle in der Nähe von Memphis, wo sie den braunen Fluten zusahen, wie sie vorüberrauschten und an ihnen zerrten, und wo sie einem gelegentlichen fernen Plätschern im Nebel lauschten. Einmal kam ein Floß vorbei, auf seinem Deck brannte ein Feuer, und sie hörten, wie die Flößer ihnen etwas zuriefen, undeutliche Rufe, die über den Fluß halten, ehe der Nebel Floß und Geräusche verschluckte.
    Als sich der Nebel endlich so weit hob, daß Karl Framm entschied, man könne sich wieder auf den Fluß hinauswagen, dampften sie kaum eine Stunde weiter, ehe sie auf ein Hindernis aufliefen, weil Framm versucht hatte, eine nicht ganz sicher erscheinende Abkürzung zu durchfahren, um etwas Zeit einzusparen. Deckshelfer und Heizer und Schauerleute strömten an Land, wobei Hairy Mike die Aufsicht führte, und trugen den Dampfer regelrecht über die Sandbank, aber es dauerte mehr als drei Stunden, und anschließend ging es in Kriechfahrt weiter, wobei Albright mit der Jolle vorausfuhr und die Tiefenwerte ausrief. Am Ende ließen sie die Abkürzung hinter sich und gelangten wieder in tieferes Wasser, aber damit waren ihre Probleme noch nicht überstanden. Drei Tage später ging ein Unwetter über sie hinweg, und mehr als einmal mußte die Fiebertraum wegen Baumstümpfen oder Untiefen in den Abkürzungen oder an den Stromschnellen den langen Weg um eine Flußbiegung nehmen, oder sie schlich weiter mit sich kaum drehenden Schaufelrädern, während die Lotjolle mit dem dienstfreien Lotsen und einem Offizier und einer ausgesuchten Mannschaft vorausfuhr und die Wassertiefe ausrief: »Viertel zwei«, oder »Viertel weniger drei«, oder »Marke drei«. Wenn mal kein Nebel aufkam, waren die Nächte pechschwarz und bewölkt; wenn das Boot überhaupt weiterfuhr, dann nur sehr langsam, mit Viertelkraft oder noch weniger; oben im Ruderhaus durfte nicht geraucht werden, und alle Fenster auf den Decks waren sorgfältig mit Läden und Vorhängen verdunkelt, so daß von dem Boot kein Lichtschein ausging und der Steuermann den Fluß leichter erkennen konnte. Die Ufer waren in solchen Nächten stockfinster und verlassen und schienen sich herumzuwälzen wie ruhelose Schläfer, bewegten sich hin und her, so daß man nicht eindeutig ausmachen konnte, wo das Wasser tief genug war oder gar wo das Wasser endete und das Land begann. Der Fluß lag so düster da, wie die Sünde, ohne daß sich das Licht des Mondes oder der Sterne in seinen Fluten widerspiegelte. In einigen Nächten war es sogar schwierig, die Nachteule zu erkennen, ein Gerät etwa auf halber Höhe des Flaggenmastes, mittels dessen die Lotsen ihre Markierungen anpeilten. Aber Framm und Albright, so verschieden sie auch waren, erwiesen sich als erstklassige Lotsen, und sie hielten die Fiebertraum auf Kurs, so lange ein Weiterfahren überhaupt möglich war. Wenn sie wirklich einmal anlegten, dann geschah es nur dann, wenn sich auf dem Fluß überhaupt nichts mehr rührte, außer Flößen und Baumstämmen und einer Handvoll Flachrumpfboote und kleine Dampfer, die so gut wie überhaupt keinen Tiefgang hatten.
    Joshua York half ihnen weiter; jede Nacht erschien er oben im

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