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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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Texasdeck, um sie vorbeirauschen zu sehen; die Eclipse , schnell und würdevoll; das vergoldete Gebilde zwischen ihren Schornsteinen funkelte in der Sonne, die Passagiere drängten sich an Deck, und dichte Rauchwolken wallten hinter ihr her. Marsh schaute ihr nach, als sie flußaufwärts verschwand, bis nur noch die Rauchschwaden zu erkennen waren. Dabei hatte er die ganze Zeit ein seltsames Gefühl in der Magengrube.
    Nachdem die Eclipse verschwunden war, wie ein Traum am Morgen verblaßt, wandte Marsh sich um, und da lag Natchez vor ihm. Er hörte das Glockensignal, das das Anlegemanöver ankündigte, und ihre Pfeife ließ sich erneut vernehmen.
    Ein Gedränge von Raddampfern besetzte den Kai, und dahinter warteten zwei Städte auf die Fiebertraum . Hoch oben auf seinen ausgedehnten Felsbastionen lag Natchez-on-the-Hill, die eigentliche Stadt mit ihren breiten Straßen, den Bäumen und Blumen und all den prächtigen Häusern. Jede Straße hatte einen Namen. Monmouth. Linden. Auburn. Ravenna. Concord und Belfast und Windy Hill. The Burn. Marsh war in jüngeren Jahren, bevor er eigene Dampfschiffe besaß, etliche Male in Natchez gewesen, und er hatte sich geschworen, einmal dort hinaufzusteigen und sich all die mehrstöckigen Häuser anzusehen. Es waren gottverdammte Paläste, jedes von ihnen, und Marsh fühlte sich dort nicht richtig wohl. Die alten Familien, die darin wohnten, benahmen sich auch noch wie Könige; hochmütig und arrogant, tranken sie ihre Mint Juleps und ihre Sherry Cobblers, kühlten ihren verdammten Wein mit Eis, vertrieben sich die Zeit, indem sie ihre hochgezüchteten Pferde um die Wette laufen ließen, und jagten Bären, duellierten sich mit Revolvern und Bowiemessern wegen der geringsten Kleinigkeiten. Marsh hatte einmal gehört, wie man sie nannte: die Nabobs. Sie waren ein feiner Haufen, und jeder gottverdammte Bursche davon führte sich auf, als ob er mindestens Colonel wäre. Manchmal tauchten sie am Anlegeplatz auf, und dann mußte man sie an Bord einladen, zu Zigarren und Drinks, ganz gleich, wie sie sich benahmen.
    Aber es war auch eine seltsam blinde Gesellschaft. Von ihren großen Häusern auf den Felsen aus blickten die Nabobs auf die funkelnde Majestät des Flusses, aber aus irgendeinem Grunde konnten sie die Dinge nicht sehen, die sich direkt unter ihnen befanden.
    Denn unterhalb ihrer Anwesen, ihrer Herrenhäuser, zwischen dem Fluß und den Felsbastionen befand sich eine andere Stadt: Natchez- under-the-Hill. Keine Marmorsäulen standen dort, und es gab dort auch verdammt wenige Blumen. Die Straßen waren Schlamm und Staub. Freudenhäuser drängten sich um den Dampfboothafen und säumten die Silver Street oder was davon noch übrig war. Ein großer Teil der Straße war vor zwanzig Jahren in den Fluß gesackt, und die Gehsteige, die noch übrig waren, hingen schief herab und waren mit aufgedonnerten Frauen und gefährlichen, fischäugigen, geckenhaften jungen Männern besetzt. Die Main Street bestand aus Saloons und Billardsälen und Spiel-hallen, und jede Nacht kochte und brodelte die Stadt unter der Stadt. Streit und Prügeleien und Blut, gezinktes Poker und spanische Beerdigungen, Huren, die zu fast allem bereit waren, und Männer, die einen angrinsten und einem die Geldbörse abnahmen und einem dafür die Kehle aufschlitzten, das war Natchezunder-the-Hill. Whiskey und Fleisch und Karten, rotes Licht und obszöne Lieder und verwässerter Gin, so sah der Betrieb am Fluß aus. Dampfschiffer liebten und haßten Natchez- under-the-Hill und seine umherhastende Bevölkerung von billigen Frauen und Halsabschneidern und Glücksspielern und freien Schwarzen und Mulatten, obgleich die älteren Männer schworen, daß die Stadt unter den Felsen bei weitem nicht mehr so wild war wie vor vierzig Jahren oder gar vor dem Tornado, den Gott 1840 geschickt hatte, um sie zu säubern. Marsh wußte davon nichts; für ihn war sie wild genug, und er hatte vor einigen Jahren dort so manche denkwürdige Nacht verbracht. Aber diesmal hatte er ein ungutes Gefühl dabei.
    Marsh erwog kurz den Gedanken, die Stadt zu passieren, zum Ruderhaus hinaufzusteigen und Albright mitzuteilen, er solle die Fahrt fortsetzen. Aber sie mußten Passagiere absetzen, Fracht löschen, und die Mannschaft freute sich sicher schon auf eine Nacht im vielgerühmten Natchez, daher verwarf Marsh seine düsteren Ahnungen. Die Fiebertraum dampfte in den Hafen und machte für die Nacht fest. Sie legten sie still, ließen den Dampf ab

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