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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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»Verdammt«, sagte er zu York, »ich wünschte, Sie kämen häufiger zu Mittag heraus, damit wir so wie jetzt fast jeden Tag speisen können.«
    Joshua rührte sein Essen jedoch kaum an. Im hellen Licht des Tages schien er ein ganz anderer Mensch zu sein; irgendwie zusammengeschrumpft, weniger imponierend. Unter den Oberlichtern hatte seine helle Haut eine ungesunde Bleiche, und Marsh glaubte, einen kreidig grauen Schimmer wahrnehmen zu können. Yorks Bewegungen erschienen träger und gelegentlich abgehackt, ohne die Geschmeidigkeit und verhaltene Kraft, die er normalerweise zeigte.
    Aber die deutlichste Veränderung war an seinen Augen zu beobachten. Im Schatten des breitkrempigen weißen Hutes, den er trug, erschienen seine Augen müde, unendlich müde. Die Pupillen waren zu winzigen stecknadelkopfgroßen Punkten verkleinert, und das Grau drumherum war blaß und matt, völlig ohne die Intensität, die Marsh so oft hatte beobachten können.
    Aber er war da, und das schien das wichtigste überhaupt zu sein. Er war am hellichten Tag aus seiner Kabine herausgekommen, war über die freien Decks und die Treppen hinuntergegangen und hatte sich vor Gott, der Mannschaft und allen anderen zu Tisch gesetzt, um zu Mittag zu essen. Was für Geschichten und Ängste seine nächtlichen Aktivitäten auch heraufbeschworen haben mochten, sie erschienen nun verdammt närrisch, wo das Licht des Tages auf Joshua York und seinen eleganten weißen Anzug fiel.
    York schwieg fast während der ganzen Mahlzeit, doch er gab ab und zu fast schüchterne Antworten von sich, wenn jemand ihm eine Frage stellte, und gelegentlich beteiligte er sich auch durch kurze Kommentare am allgemeinen Tischgespräch. Als das Dessert serviert war, schob er den Teller beiseite und legte müde das Messer hin. »Rufen Sie Toby einmal her«, sagte er.
    Der Koch tauchte aus der Küche auf, mit Mehl bestäubt und voller Ölspritzer. »Hat Ihnen das Essen nicht geschmeckt, Cap’n York?« fragte er. »Sie haben ja kaum etwas gegessen.«
    »Es war vorzüglich, Toby. Ich fürchte, um diese Tageszeit habe ich nie besonders viel Appetit. Aber ich bin hier, und ich denke, ich habe damit etwas bewiesen.«
    »Ja, Sir«, sagte Toby. »Es wird wohl keine Schwierigkeiten mehr geben.«
    »Hervorragend«, sagte York. Als Toby in seine Küche zurückgekehrt war, wandte York sich an Marsh. »Ich habe beschlossen, noch einen Tag hierzubleiben«, sagte er. »Wir dampfen erst morgen abend los, und nicht schon heute.«
    »Klar, sicher, Joshua«, beeilte Marsh sich zu erwidern. »Würden Sie mir bitte noch ein Stück von dem Kuchen reichen?« York lächelte und tat ihm den Gefallen.
    »Cap’n, heute abend wäre es aber günstiger als morgen«, meinte Dan Albright, der sich mit einem Fischbeinstäbchen die Zähne säuberte. »Ich habe es in der Nase, daß ein Sturm im Anmarsch ist.«
    »Morgen«, beharrte York.
    Albright zuckte die Achseln.
    »Toby und Jeb können hierbleiben. Und«, fuhr York fort, »ich möchte nur die nötigste Mannschaft mitnehmen, die gebraucht wird, um das Boot in Fahrt zu halten. Alle Passagiere, die schon frühzeitig an Bord gekommen sind, sollen für ein paar Tage an Land untergebracht werden, bis wir wieder zurück sind. Wir werden keine Fracht aufnehmen, deshalb können die Schauerleute auch ein paar freie Tage bekommen. Wir nehmen nur eine Wache mit. Ist das möglich?«
    »Ich denke schon«, sagte Marsh. Er blickte die lange Tafel hinunter. Die Offiziere blickten Joshua allesamt neugierig an.
    »Also dann, morgen abend bei Einbruch der Dunkelheit«, sagte York: »Entschuldigen Sie mich. Ich muß mich ausruhen.« Er erhob sich und schien für einen kurzen Moment unsicher auf den Füßen zu stehen. Marsh sprang schnell von seinem Platz auf, aber York winkte ab. »Es ist alles in Ordnung«, sagte er. »Ich ziehe mich jetzt in meine Kabine zurück. Sorgen Sie dafür, daß ich nicht gestört werde, bis wir soweit sind, daß wir New Orleans verlassen können.«
    »Kommen Sie heute nicht zum Abendessen herunter?« erkundigte Marsh sich.
    »Nein«, sagte York. Seine Blicke wanderten durch den Salon. »Ich denke, die Nacht ist mir in jeder Hinsicht lieber«, stellte er fest. »Lord Byron hatte recht. Der Tag ist viel zu grell.«
    »Äh?« fragte Marsh.
    »Erinnern Sie sich nicht mehr?« sagte York. »Das Gedicht, das ich in der Bootswerft in New Albany rezitierte. Es paßt genau auf die Fiebertraum . In ihrer Schönheit wandelt sie . . . «
    » . . . wie

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