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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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wolkenlose Sternennacht «, fuhr Jeffers fort und rückte seine Brille zurecht. Abner Marsh starrte ihn verblüfft an. Jeffers war ein Teufelskerl beim Schachspiel und im Umgang mit Zahlen.
    Und er ging sogar ins Theater, aber Marsh hatte ihn noch nie Dichtung rezitieren gehört.
    »Sie kennen Byron?« rief Joshua hocherfreut aus. Für einen kurzen Augenblick sah er fast wieder so aus wie sonst immer. »Tue ich«, gab Jeffers zu. Eine Augenbraue hatte er hochgezogen, als er York ansah. »Cap’n, wollen Sie damit behaupten, daß unsere Tage auf der Fiebertraum voller Frömmigkeit sein werden?« Er lächelte. »Nun, das wird für Hairy Mike und Mister Framm eine überraschende Neuigkeit sein.«
    Hairy Mike lachte schallend, während Framm protestierte. »He, Moment mal, drei Ehefrauen heißen doch nicht, daß ich nicht gut bin. Schließlich würde fast jede für mich die Hand ins Feuer legen.«
    »Über was, zum Teufel, wird hier geredet?« meldete Abner Marsh sich zu Wort. Die meisten Offiziere und Mannschaftsangehörigen schienen genauso verwirrt zu sein wie er.
    Joshua reagierte mit einem flüchtigen Lächeln. »Mister Jeffers erinnert mich nur an die letzte Strophe des Gedichtes von Byron«, sagte er. Er deklamierte:
     
    O diese Wang, o diese Braun,
    Wie sanft, wie still, und doch beredt,
     
    Was wir in ihrem Lächeln schaun!
    Ein frommes Wirken früh und spät,
     
    Ein Herz voll Frieden und Vertraun,
    Und Lieb, unschuldig wie Gebet.
     
    »Sind wir unschuldig, Cap’n?« fragte Jeffers.
    »Niemand ist vollkommen schuldig«, erwiderte Joshua York, »aber nichtsdestoweniger spricht das Gedicht zu mir, Mister Jeffers. Die Nacht ist wunderbar, und wir können hoffen, in ihrer düsteren Pracht Frieden und Würde zu finden. Zu viele Menschen haben unbegründete Angst vor der Dunkelheit.«
    »Vielleicht«, sagte Jeffers. »Manchmal sollte man sich jedoch davor fürchten.«
    »Nein«, sagte Joshua York, und nach diesen Worten verließ er sie und brach das Wortgeplänkel mit Jeffers jäh ab. Sobald er sich zurückgezogen hatte, begannen auch die anderen, die Tafel zu verlassen, um sich wieder ihren Aufgaben zu widmen, nur Jonathan Jeffers blieb zurück und starrte gedankenverloren in den leeren Salon. Marsh setzte sich wieder, um seinen Kuchen aufzuessen. »Mister Jeffers«, sagte er, »ich weiß nicht, was an diesem Fluß vor sich geht. Verdammte Gedichte. Welchen Sinn hatte dieses alberne Geschwätz überhaupt? Wenn dieser Byron etwas Wichtiges zu sagen hatte, warum hat er das dann nicht geradeheraus und in einer einfachen Sprache getan? Beantworten Sie mir das.«
    Jeffers schaute ihn an und blinzelte. »Entschuldigung, Cap’n«, sagte er. »Ich habe versucht, mich an etwas zu erinnern. Was haben Sie gesagt?«
    Marsh schob sich eine Gabel voll Kuchen in den Mund, spülte alles mit einem kräftigen Schluck Kaffee hinunter und wiederholte dann seine Frage.
    »Sehen Sie, Cap’n«, meinte Jeffers mit einem gequälten Lächeln, »das Wesentliche ist, daß Dichtung etwas Schönes ist. Es ist die Art und Weise, wie die Worte zusammenpassen, ihr Rhythmus, es sind die Bilder, die sie malen. Gedichte sind etwas Angenehmes, wenn sie laut gesprochen werden. Die Reime, die innere Musik, eben die Art, wie sie klingen .« Er nahm einen Schluck Kaffee. »Es ist schwierig zu erklären, wenn Sie es nicht in Ihrem Innern spüren. Aber man könnte vielleicht sagen, daß es damit genauso ist wie mit einem Raddampfer, Cap’n.«
    »Ich hab’ noch nie ein Gedicht zu Gesicht bekommen, das so schön ist wie ein Dampfboot«, sagte Marsh schroff.
    Jeffers grinste. »Cap’n, warum hat wohl die Northern Light das große Bild der Aurora auf ihrem Radkasten? Eigentlich braucht sie es doch nicht. Die Schaufeln würden auch ohne es durchs Wasser rauschen. Warum ist unser Lotsenhaus und vieles andere so reich mit Schnörkeln und Schnitzereien und Beschlägen verziert, warum ist jeder Raddampfer, der diese Bezeichnung verdient, so voll von edlem Holz und Teppichen und Ölgemälden und Modellsägearbeiten? Warum sehen unsere Schornsteine am oberen Rand aus wie aufblühende Blumen? Der Qualm würde genauso glatt herauskommen, wenn sie einfach und schlicht aussähen.«
    Marsh rülpste und blickte finster.
    »Man könnte Raddampfer sehr viel schmuckloser und einfacher bauen«, schloß Jeffers, »aber gerade die Art und Weise, wie sie heute aussehen, macht das Vergnügen größer, das man bei ihrem Anblick und bei einer Fahrt darauf empfindet.

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