Fiese Finsterlinge
Carma richtete das Messer auf Franco, als der am Bug an Bord stieg und sich auf der breiten Reling vor ihr aufbaute. Carma holte aus und warf das Messer auf den Hünen. Aus zwei Meter Entfernung konnte sie ihn nicht verfehlen.
Allerdings handelte es sich um ein Filet- und nicht um ein Wurfmesser und war entsprechend schlecht ausbalanciert. Es überschlug sich zweimal in der Luft, prallte mit dem Griff gegen Francos steinharten Bauch und fiel zu Boden.
»Oh-oh«, sagte Nate.
Dann beging der Hüne einen Fehler, wie Nate sogleich wusste. Franco lachte Carma aus. Er stand noch immer breitbeinig auf der Reling, zeigte mit dem Finger auf Carma – Nate hatte schon als Kind gelernt, dass man so etwas nicht tat – und machte sie vor allen Leuten lächerlich.
»Du glaubst, du kannst dich mit mir anlegen?«, sagte er. »Hey, ich bin Franco, und du bist nur ein schwaches dummes Mädchen!«
Nate sah, wie Carma die Zornesröte ins Gesicht stieg. Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, ihr Blick glich dem einer wütenden Raubkatze und bohrte sich in Franco. In dessen Haut würde er gerade nicht stecken wollen, überlegte Nate. Dann stürmte Carma los.
Sie prallte mit voller Wucht gegen Francos Beine und stieß ihn von der Reling. Der Hüne stürzte rückwärts ins Wasser, aber leider wurde auch Carma vom eigenen Schwung mit in die Tiefe gerissen. Nate rannte zum Bug und sah, wie die beiden im Wasser miteinander rangen.
»Carma, komm zurück!«
Aber es war zu spät. Die Inselbewohner sprangen vor, um sie zu packen und aus dem Wasser zu fischen.
Aber genau in dem Moment schallte ein ohrenbetäubendes Knirsch über die Insel. Alle erstarrten. Der Boden erbebte, als ein riesiger Spalt den Strand durchpflügte und zur Mitte der Insel raste und sie nahezu auseinanderriss.
»Kail!«, rief Nate.
Eine weiteres bebendes Knirsch holte die Inselbewohner von den Beinen, und sie ließen die Taue fallen, an denen das Versorgungsboot festhing. Der tückische Spalterdämon hatte einen Weg an Land gefunden, dachte Nate. Irgendein Holzsplitter der WANDERER, in dem Kail gesteckt hatte, war an den Strand gespült worden. Er war ein geduldiger Dämon. Er konnte jahrhundertelang still daliegen und den richtigen Moment abwarten, um den größtmöglichen Schaden anzurichten. Und dieser Moment war jetzt. Ausnahmsweise war Nate überglücklich, Kail wieder in Aktion zu erleben.
Die Insel brach vollends auseinander, und die beiden Hälften kippten, sobald sich ihre Ausrichtung im Wasser verändert hatte, in seltsamen Winkeln auf die Seite. Die eine Hälfte stellte sich fast augenblicklich auf den Kopf und schleuderte die Inselbewohner ins Meer, darunter auch Doktor McNeil, der in hohem Bogen durch die Luft segelte, bevor er auf dem Wasser aufschlug und die umgestülpte Inselhälfte auf ihn herabkrachte.
Die Hälfte, auf der die anderen Leute standen, kippte langsamer, so dass die Inselbewohner ins Wasser rutschten wie Kinder auf einer Wasserrutsche im Erlebnispark.
Nate hielt nach Carma Ausschau, doch sie war im aufgewühlten Wasser verschwunden. Er wusste nicht, ob sie noch lebte oder bereits ertrunken war.
Franco hingegen war nicht verschwunden. Er rief um Hilfe, kam auf das Boot zugeschwommen. Doch Nate blieb keine Zeit, um zu überlegen, ob er den Franzosen retten sollte. Direkt hinter ihm tauchte im Wasser eine Gruppe gelber Enten auf. Anderer Plastikmüll gesellte sich dazu und begann, Franco zu umschließen, und Nate wusste, dass der Hüne dem Untergang geweiht war.
Nate eilte zum Gashebel und tuckerte vorsichtig auf die umgestülpte Inselhälfte zu. Er kam an mehreren Inselbewohnern vorbei, hielt aber nicht an. Stattdessen stieß er mit dem Bug gegen die Insel. Ein scharfes Schnapp erklang, und aus der Plastiklandmasse fuhr ein Spalt herauf ins Vorderdeck des Boots, als Kail an Bord kam. Nate hatte seinen Dämon gerettet. Die Inselbewohner hingegen würde er nicht aus dem Wasser fischen, beschloss er. Sie wären in der Überzahl und würden ihn gewiss nicht nach Hause zurückkehren lassen, wenn sie einmal an Bord gelangt wären. Die meisten klammerten sich jetzt an die umgestülpte Insel. Obwohl nun ohne Unterschlupf und Vorräte, würden sie eine Weile überleben. Er würde ihnen über Funk Hilfe schicken. Traurigerweise war von Carma noch immer nichts zu sehen.
»Haltet durch!«, rief Nate den Leuten zu. »Ich schicke jemanden, der euch rettet.«
Er überprüfte rasch das Funkgerät – es funktionierte –, dann
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