Fieses Karma
Miller’s.«
»Ich kann nicht. Ich muss Geschichte lernen«, sage ich leicht verärgert.
»Lass sofort alles stehen und liegen und komm auf der Stelle her.« Sie knurrt regelrecht in den Hörer. »Ich versprech dir, es ist spannender als die Französische Revolution.«
»Na, das ist auch nicht sonderlich schwer. So ziemlich alles ist spannender«, gebe ich ironisch zurück.
»Komm einfach her.« Mit diesen Worten legt sie auf.
Angie ist seit der sechsten Klasse meine beste Freundin. Sie kennt mich wahrscheinlich besser als alle anderen. Sie weiß zum Beispiel genau, dass ich jetzt in meinem Zimmer hocke und die nächsten Minuten mit mir kämpfe, ob ich nachgeben soll oder nicht. Sie weiß genau, dass ich schließlich aufgebe, das Schulbuch zuklappe, mir die Schuhe anziehe und die zwölf Häuserblocks zu Miller’s fahre, einem Drugstore, in dem sie als Teilzeitkraft an der Kasse arbeitet. Ich nenne es immer ihren Halb teilzeitjob, auch wenn es eigentlich ein Teilzeitjob ist. Denn sie verbringt nur die Hälfte ihrer Arbeitszeit mit Arbeit und den Rest damit, die Zeitschriften auf dem Ständer neben der Kasse zu lesen.
Genau neun Minuten später stelle ich das Auto auf dem Parkplatz ab. Mir ist klar, dass sie sich auf die Schulter klopfen wird, wenn ich durch die Tür komme – unheimlich stolz auf ihre Fähigkeit, mein Erscheinen auf die Minute vorhersagen zu können.
Ich gehe durch das leere Geschäft an die Kasse, wo sie in der neuen Ausgabe von Trend Girl blättert. Trend Girl ist unsere Lieblingszeitschrift – wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen. Ich lese gern die Seiten über die neuesten Modetrends, den heißesten Promi-Klatsch und Beziehungstipps, während Angie – soweit ich es beurteilen kann – die Zeitschrift nur liest, um ihren Vorrat an Leuten und Produkten aufzufrischen, über die sie lästern kann.
»Was ist denn so wichtig, dass du es mir nicht am Telefon sagen kannst?«
Angie blickt hoch und drückt mir wortlos die Zeitschrift in die Hand. Ich kann sie gerade noch festhalten, bevor sie zu Boden fällt. »Sieh mal auf Seite fünfunddreißig nach.«
Ich verlagere das Gewicht auf den rechten Fuß und öffne die zerknitterte Zeitschrift mit einem ergebenen Seufzen. Während ich umständlich nach der Seite suche, sage ich: »Weißt du, der Geschichtstest morgen ist meine letzte Chance, statt einer Zwei eine Eins zu kriegen, und ich finde es kein bisschen witzig, dass du mich hierherbestellst, bloß damit du dich wieder mal über irgendwas aufregen kannst.« Doch dann schlage ich die Seite auf – und halte die Luft an.
Angie beobachtet mich mit einem zufriedenen Hab-ich’s-nicht-gesagt-Grinsen.
»Oh wow!«, stoße ich verblüfft aus, während ich ungläubig auf die Seite starre. »Sie haben es echt veröffentlicht?«
Sie nickt aufgeregt. »Ja!«
»Sie haben es wirklich veröffentlicht?« Ich kann immer noch nicht fassen, was ich sehe.
»Ich hab dir doch gesagt, dass es spannender ist als die Französische Revolution.«
Ich klappe die erste Hälfte der Zeitschrift nach hinten und halte mir die Seite dicht genug vor die Augen, um den Textabschnitt lesen zu können, der ungefähr ein Fünftel der Seite ausmacht. Die Überschrift lautet MASON BROOKS in dicken großen Buchstaben, und daneben ist ein Foto meines Freunds abgebildet. Ja, mein Freund ist für alle Welt in Trend Girl zu sehen!
Ich habe sein Foto an den Leserwettbewerb »Das ist mein Freund« geschickt, den die Zeitschrift jeden Monat veranstaltet. Aber das war vor einem halben Jahr. Die ersten drei Monate binich jedes Mal, wenn die neueste Ausgabe erschien, in den Laden gerannt, um zu sehen, ob sie meinen Beitrag genommen hatten. Danach habe ich die Sache so gut wie vergessen.
Ihr müsst wissen, dass sie für jede Monatsausgabe nur fünf Jungs auswählen, die sie vorstellen. Mason ist unser Schulsprecher. Erst vor Kurzem hat er seinen Einstufungstest für die Uni mit 2350 Punkten gemacht, er gehört zu den besten Spielern unserer Fußballmannschaft und er hat jetzt schon eine Zusage fürs nächste Jahr von Amherst College bekommen. Außerdem finde ich ihn total süß. Ich meine echt süß. Ich weiß ja, dass ich nicht unparteiisch bin und so, aber seine grünen Augen und langen dunklen Wimpern sind einfach umwerfend. Er ist der dunkle Typ mit samtweicher olivfarbener Haut und dichtem schwarzem Haar, das sich herrlich mit den Fingern durchkämmen lässt.
Ich weiß schon, wie umwerfend er ist – sexy und so –,
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