Fiesta
der P. L. M. zwischen Fontainebleau und Montereau, auf der ich mich auch jedesmal so langweilte, elend und tot fühlte, bis sie vorbei war. Ich nehme an, diese toten Punkte auf einer Reise entstehen durch gewisse Gedankenassoziationen. Er gibt andere Straßen in Paris, die genauso häßlich sind wie der Boulevard Raspail. Es ist eine Straße, die ich zu Fuß gar nicht so ungern entlanggehe. Aber entlangfahren – nein. Vielleicht hatte ich mal so etwas gelesen. Robert Cohn ging es ja mit ganz Paris so ähnlich. Ich überlegte, wo Cohn nur die Unfähigkeit, Paris zu genießen, her haben mochte. Vielleicht von Mencken. Ich glaube, Mencken haßt Paris. So viele junge Leute bekommen ihre Vorlieben und Abneigungen im Leben durch Mencken.
Das Auto hielt genau vor der Rotonde. Ganz gleich, welches Café auf Montparnasse man dem Taxichauffeur auch immer nennt, er fährt einen zur Rotonde. Vielleicht wird es in zehn Jahren das Café du Dome sein. Auf jeden Fall war es nah genug. Ich ging von den traurigen Tischen der Rotonde hinüber ins Sélect. Drinnen an der Bar waren ein paar Leute, und draußen ganz allein saß Harvey Stone. Er hatte einen Haufen Untersätze vor sich aufgetürmt und war unrasiert.
«Setz dich», sagte Harvey, «hab dich schon lange gesucht.»
«Was ist denn los?»
«Nichts. Nur so gesucht.»
«Warst du beim Rennen?»
«Nein, nicht seit Sonntag.»
«Was hörst du aus den Staaten?»
«Nichts, absolut nichts.»
«Was ist denn los?»
«Ich weiß nicht, ich bin mit ihnen fertig. Vollkommen fertig.»
Er beugte sich vornüber und sah mir ins Gesicht.
«Soll ich dir was erzählen, Jake?»
«Ja.»
«Ich habe seit fünf Tagen nichts gegessen.»
Ich rechnete schnell im Geist zurück. Vor drei Tagen hatte mir Harvey 200 Francs beim Pokern in der New York Bar abgenommen.
«Was ist denn los?»
«Kein Geld. Kein Geld.» Er machte eine Pause. «Weißt du, Jake, es ist merkwürdig. Wenn’s mir dreckig geht, dann will ich nichts als meine Ruhe haben. Bleibe am liebsten in meiner eigenen Bude. Bin wie eine Katze.»
Ich griff in die Tasche.
«Würden dir hundert helfen, Harvey?»
«Ja.»
«Komm, wir wollen essen gehen.»
«Gar keine Eile. Komm, trink was.»
«Lieber essen.»
«Nein, wenn es mir so dreckig geht, ist es mir ganz egal, ob ich esse oder nicht.»
Wir tranken. Harvey stellte meinen Untersatz auf seine.
«Harvey, kennst du Mencken?»
«Ja, warum?»
«Wie ist er eigentlich?»
«Nett. Er sagt höchst amüsante Dinge. Letztes Mal, als wir zusammen aßen, sprachen wir über Hoffenheimer. Sein großer Fehler ist, daß er jeder Schürze nachläuft», sagte er.
«Nicht schlecht.»
«Jetzt ist er durch», fuhr Harvey fort. «Er hat über alles, was er weiß, geschrieben, und jetzt schreibt er über alles, was er nicht weiß.»
«Wahrscheinlich ist er ein guter Schriftsteller», sagte ich. «Ich kann ihn nur einfach nicht lesen.»
«Ach, jetzt liest ihn doch überhaupt niemand mehr», sagte Harvey, «außer Leuten, die früher das Alexander Hamilton Institute gelesen haben.»
«Nun», sagte ich, «hatte auch seinen Reiz.»
«Gewiß», sagte Harvey, und dann saßen wir beide eine Weile in tiefes Nachdenken verloren da.
«Noch einen Portwein?»
«Schön», sagte Harvey.
«Da kommt Cohn», sagte ich. Robert Cohn überquerte die Straße.
«Der Trottel», sagte Harvey. Cohn kam an unseren Tisch.
«Tag, Kinder», sagte er.
«Tag, Robert», sagte Harvey. «Ich sagte Jake eben, daß du ein Trottel bist.»
«Was meinst du denn damit?»
«Sag mal schnell, ohne nachzudenken, was würdest du machen, wenn du machen könntest, was du wolltest?»
Cohn fing an zu überlegen.
«Nicht nachdenken. Sag’s schnell.»
«Ich weiß nicht», sagte Cohn. «Worum dreht es sich denn überhaupt?»
«Ich meine, was du am liebsten tun möchtest. Was dir zuerst in den Kopf kommt. Ganz gleich, wie dumm es ist.»
«Ich weiß nicht», sagte Cohn. «Ich glaube, ich würde am liebsten Football spielen; aber mit dem Wissen, das ich jetzt habe.»
«Ich habe dich falsch beurteilt», sagte Harvey. «Du bist kein Trottel. Du bist nur ein Fall von zurückgebliebener Entwicklung.»
«Du bist wahnsinnig komisch, Harvey», sagte Cohn. «Eines Tages wird dir jemand deine Fresse einschlagen.»
Harvey Stone lachte. «Glaubst du? Ach bewahre. Ist mir auch ganz egal. Ich bin ja kein Boxer.»
«Es wäre dir sicher nicht ganz egal, wenn’s dir passierte.»
«Aber doch. Da irrst du dich sehr. Du bist eben nicht sehr
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