Fifth Avenue--Ein Thriller (German Edition)
Schmerz fühlen, den
er schon seit Jahren in sich trug.
Er
blickte auf die Titelseite des Wall
Street Journal . Die Schlagzeile lautete:
REDMAN-AKTIEN
FALLEN UM DREIUNDZWANZIG PUNKTE
ANGEKÜNDIGTE
ÜBERNAHME VON WESTTEX MACHT AKTIONÄRE NERVÖS
Das ist wirklich zu schade , dachte Louis.
Er
öffnete eine Schreibtischschublade und griff nach der neuesten Ausgabe der
Zeitschrift People . Auf dem
Titelblatt war sein Sohn Michael Archer, der Filmstar und Autor von
Bestsellern. Selbst mit zunehmendem Alter war offensichtlich, dass Michael sein
Aussehen von seiner Mutter geerbt hatte – von dem dunklen Haar bis hin zu
den kobaltblauen Augen.
Beim
Betrachten vom Gesicht seines Sohnes fragte sich Louis, wie Michael reagieren
würde, wenn er herausfand, dass George Redman seine Mutter umgebracht hatte. Er
war erst drei, als es passierte. Um seinem Sohn den Schmerz und die Wut zu
ersparen, die er selbst ertragen musste, erzog Louis Michael in dem Glauben,
der Tod seiner Mutter sei ein Unfall gewesen. Aber trotz des Unglücks, das die
beiden einander hätte näher bringen sollen, hat es sie nur weiter voneinander
distanziert, denn Louis musste sich ganzzeitig um Manhattan Enterprises
kümmern, um so ihrer beider Zukunft sicherzustellen.
Sie
hatten sich nie nahe gestanden. Tatsächlich hatte Louis von Michael bis vor
letzter Woche seit sechzehn Jahren weder etwas gesehen noch gehört.
Und all das wegen George
Redman , dachte er.
Er
legte das Magazin weg und drehte sich um, so dass er die Limousinen sehen
konnte, die die Straße entlangkrochen. Er fragte sich, in welcher sein Sohn
wohl sein mochte. Als Michael vergangene Woche ohne vorherige Anmeldung in sein
Büro getreten war, war Louis von der Veränderung in ihm überrascht gewesen.
Michael erschien ihm in persona älter
als auf der Leinwand. Seine Augen waren mit den Jahren härter geworden und
hatten seinen früheren treuherzigen Blick ausgelöscht. Vielleicht hat ihm sein
Kampf ums Dasein in Hollywood gut getan. Vielleicht war er endlich erwachsen
geworden.
Aber
natürlich war dem nicht so.
Als
Michael das Dilemma erklärte, in dem er sich befand, dass sein Leben in Gefahr
sei, hörte Louis zwar zu, doch fühlte er dieselbe Scham und dieselbe Wut, die
er gefühlt hatte, als Michael im Alter von achtzehn Jahren sein Zuhause
verlassen hatte und nach Hollywood aufgebrochen war. Selbst jetzt noch konnte
Louis Michael hören, wie er ihn um Hilfe bat. Selbst jetzt noch konnte er den
überraschten Ausdruck in Michaels Gesicht sehen, als er erfuhr, dass er nur
dann mit Hilfe rechnen konnte, wenn er zur Eröffnungsfeier von Redman
International ginge und Leana Redman kennenlernte.
* * *
Michael
Archer schaute durch die getönte Scheibe der schwarzen Lincoln Limousine seines
Vaters auf die glitzernde Skyline von New York und dachte für sich, dass er
jetzt lieber an jedem anderen Ort wäre als hier.
Er
war nicht froh, wieder hier zu sein. Er verabscheute, was er sah. Er hatte
diese Stadt einmal verlassen und hatte sich – bis vor ein paar Wochen,
als es keine andere Wahl mehr gab – nie nach ihr zurückgesehnt.
Sein
Vater war überall: von Louis’ himmelhohen Büro- und Wohnungsanlagen in der
Fünften bis hin zu den üppigen Hotels, an denen er vor kurzem auf Park und
Madison vorbeigekommen war. Selbst wenn niemand wusste, dass er Louis’ Sohn
war, schämte er sich schon allein für die Vorstellung, dass das Ego seines
Vaters wie eine Krankheit über diese Stadt hereingefallen war.
Er
fand es ironisch, dass er jetzt in ein Leben zurückkatapultiert werden sollte,
vor dem er einmal davongelaufen war. Und noch ironischer war, dass sein Vater
der einzige war, der ihm helfen konnte.
Auf
dem Sitz neben ihm lag der Umschlag, den Louis ihm gegeben hatte. Michael griff
danach, knipste das Licht über sich an und entnahm ihm etliche Fotos von Leana
Redman.
Die
meisten zeigten sie beim Lesen in Washington Square, aber einige waren
aufgenommen worden, als sie an einem Zeitungskiosk anstand; andere, wie sie
einem Taxi winkte.
Michael
betrachtete ihr Gesicht und fragte sich, in was für Schwierigkeiten sein Vater
ihn wohl bringen würde. Warum war es so wichtig, dass er Leana Redman
kennenlernte? Und warum weigerte sich Louis, ihm das Geld zu geben, das er so
nötig brauchte, wenn er es nicht tat?
Die
Limousine erwischte eine grüne Welle und rollte die Fünfte hinunter. Vor sich
konnte Michael die hellen und unverwüstlichen Scheinwerfer
Weitere Kostenlose Bücher