Fight Club: Roman (German Edition)
musst.
Marla blickt zu mir hinauf. Ihre Ohrläppchen runzeln sich um Löcher für Ohrringe, aber sie trägt keine. Ihre rissigen Lippen sind mit abgestorbener Haut überzogen.
Mach nur und weine.
»Du stirbst auch nicht demnächst«, sagt Marla.
Um uns herum lehnen sich Paare aneinander und schluchzen. »Wenn du mich verpetzt«, sagt Marla, »verpetz ich dich auch.«
Dann teilen wir uns die Woche, sage ich. Marla kann Knochenmarkschwund, Gehirnparasiten und Tuberkulose haben. Ich behalte Hodenkrebs, Blutparasiten und organische Gehirnschwäche.
Marla sagt: »Und wie steht’s mit fortschreitendem Darmkrebs?«
Die Kleine hat ihre Hausaufgaben gemacht.
Wir teilen uns Darmkrebs. Sie kriegt ihn jeden ersten und dritten Sonntag im Monat.
»Nein«, sagt Marla. Nein, sie will alles. Den Krebs, die Parasiten. Marlas Augen werden schmal. Sie hätte sich nie träumen lassen, dass sie sich so wunderbar fühlen könnte. Sie fühle sich richtig lebendig. Ihre Haut würde sich aufhellen. In ihrem ganzen Leben hat sie nie einen toten Menschen gesehen. Sie hatte kein wirkliches Gefühl für das Leben, weil es nichts gab, was sie ihm gegenüberstellen konnte. Ach, aber nun gab es Tod und Sterben, Verlust und Trauer. Weinen und Schaudern, Entsetzen und Reue. Nun, da sie weiß, wo wir alle hingehen, spürt Marla jeden Moment ihres Lebens.
Nein, sie würde keine Gruppe verlassen.
»Nicht, um dahin zurückzukehren, wie sich das Leben vorher angefühlt hat«, sagt Marla. »Ich habe früher in einem Beerdigungsinstitut gearbeitet, um mich gut zu fühlen, nur aufgrund der Tatsache, dass ich atme. Was also, wenn ich keinen Job in meinem Bereich finden könnte?«
Dann geh zurück zu deinem Beerdigungsinstitut, sage ich.
»Beerdigungen sind nichts im Vergleich zu dem hier«, sagt Marla. »Beerdigungen sind eine rein abstrakte Zeremonie. Hier machst du die echte Erfahrung des Todes.«
Die Paare um uns beide herum trocknen ihre Tränen, schniefen, klopfen sich gegenseitig auf die Schulter und lassen einander los.
Wir können nicht beide herkommen, sage ich zu ihr.
»Dann komm nicht mehr.«
Ich brauche das.
»Dann geh zu Beerdigungen.«
Alle anderen haben sich voneinander gelöst und fassen sich an den Händen für das Abschlussgebet. Ich lasse Marla los.
»Wie lange kommst du schon hierher?«
Das Abschlussgebet.
Zwei Jahre.
Ein Mann im Gebetskreis nimmt meine Hand. Ein Mann nimmt Marlas Hand.
Diese Gebete brauchen nur zu beginnen, und schon stockt mir normalerweise der Atem. O segne uns. Segne uns in unserem Zorn und unserer Angst.
»Zwei Jahre?« Marla neigt den Kopf und flüstert.
O segne uns und halte uns. Alle, denen ich in diesen zwei Jahren aufgefallen sein könnte, sind entweder gestorben, oder sie sind genesen und nie mehr wiedergekommen.
Hilf uns und hilf uns.
»Okay«, sagt Marla, »okay, okay, du kannst Hodenkrebs behalten.«
Big Bob, das große Käsebrot, der mich voll heult. Danke.
Führ uns unserem Geschick entgegen. Gib uns Frieden.
»Kein Wort davon.«
So habe ich Marla kennen gelernt.
5
Der Sicherheitsbeamte erklärte mir alles.
Die Gepäckverlader dürfen einen tickenden Koffer ignorieren. Der Mann von der Sondereinheit für Sicherheit, er nennt die Gepäckverlader »Schmeißer«. Moderne Bomben ticken nicht. Aber bei einem Koffer, der vibriert, müssen die Gepäckverlader, die Schmeißer, die Polizei rufen.
Dazu, bei Tyler zu wohnen, kam ich, weil die meisten Fluglinien dieses Verfahren hinsichtlich vibrierenden Gepäcks anwenden.
Bei meinem Rückflug von Dulles hatte ich alles in dieser einen Tasche. Wenn du viel unterwegs bist, lernst du, für jede Reise dasselbe zu packen. Sechs weiße Hemden. Zwei schwarze Hosen. Das blanke Minimum, das du zum Überleben brauchst.
Reisewecker.
Schnurloser Elektrorasierer. Zahnbürste.
Sechs Paar Unterhosen.
Sechs Paar schwarze Socken.
Dem Sicherheitsbeamten zufolge stellt sich beim Abflug von Dulles heraus, dass mein Koffer vibriert, also nahm ihn die Polizei aus dem Flieger. Alles war in dieser Tasche. Das Zeug für meine Kontaktlinsen. Eine rote Krawatte mit blauen Streifen. Eine blaue Krawatte mit roten Streifen. Es handelt sich um die Streifen meines Regiments, nicht um die Streifen einer Klubkrawatte. Und eine einfarbig rote Krawatte.
Eine Liste mit all diesen Sachen hing bei mir zu Hause immer an der Innenseite der Schlafzimmertür.
Mein Zuhause war eine Eigentumswohnung im fünfzehnten Stock eines Hochhauses, so eine Art Aktenschrank für
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