Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition)
nicht als Rindenmulchhaufen unters Volk mischen. Quentin machte den Tarnzauber rückgängig. Als er die Schwelle übertrat, schloss er für einen Moment die Augen. Er dachte an die kleine Jane Chatwin, die noch lebte und irgendwo ihr Unwesen trieb. Wer weiß, vielleicht war sie auch auf der Party.
Josh strebte auf direktem Weg zur Bar.
»Hey!«, zischte Quentin. »Du bist im Einsatz!«
»Ja, aber undercover. Es muss doch natürlich aussehen!«
Auch wenn sie im Hause von Maude Chatwin stattfand, war es eine Party wie alle anderen. Anwesend waren Schöne und Hässliche, Betrunkene und Nichtbetrunkene, Leute, denen es egal war, was andere über sie dachten, und Leute, die in der Ecke herumstanden und sich nicht trauten, den Mund aufzumachen, vor lauter Angst, man könne sie direkt ansehen.
Obwohl sie in geheimer Mission unterwegs waren, entlarvte sich Josh sofort als Amerikaner, indem er an der Bar ein Bier bestellte. Er entschied sich schließlich für einen Pimm’s Cup, den er mit einer Miene verwunderter Enttäuschung schlürfte. Doch Poppy und er biederten sich so leicht und geschickt bei den anderen Gästen an, dass Quentin nur staunen konnte. Von Natur aus gesellige Menschen erstaunten ihn ohnehin immer wieder. Ihr Verstand schien einen unerschöpflichen Fundus von Gesprächsthemen zu generieren, ganz natürlich und mühelos, wie aus dem Nichts. Diesen Zaubertrick hatte Quentin nie gelernt. Als amerikanischer Mann ohne Anhang unter lauter fremden Engländern hatte er das ungute Gefühl, sofort Verdacht zu erregen. Er gab sich große Mühe, sich zu kleinen Gruppen zu gesellen und höflich zum Gerede anderer zu nicken, obwohl niemand direkt mit ihm sprach.
Julia fand eine Wand, gegen die sie ihren schmalen Rücken lehnen konnte, und sah dekorativ mysteriös aus. Nur ein Mann wagte es, sich ihr zu nähern, ein hochgewachsener Akademikertyp mit kurzem Bart, doch sie ließ ihn mit so verwirrenden Worten abblitzen, dass er anschließend seine Wunden mit einem Gurkensandwich salben musste. Nach einer halben Stunde hatte Quentin das Gefühl, sich vorsichtig die Treppe hinaufwagen zu können. Nicht die große Empfangstreppe vorne, sondern eine unauffällige Dienstbotentreppe im hinteren Teil des Hauses. Er warf den anderen der Reihe nach vielsagende Blicke zu und nickte unauffällig. Aber was sollten sie sagen, wenn man sie erwischte? Sie hätten die Toilette gesucht? Alle vier?
Die enge Wendeltreppe führte hinauf ins Obergeschoss, ein stilles, halbdunkles Labyrinth mit weißen Wänden und Parkettboden. Das Gemurmel und Gläserklirren der Party war noch hörbar, aber gedämpft, wie ferner Wellenschlag. Hier oben spielten einige Kinder, rannten die Flure entlang und in die Zimmer hinein und wieder heraus, lachten etwas zu aufgekratzt, spielten ein Spiel, dessen Regeln niemand kannte, warfen sich auf die Mäntel, wenn sie müde wurden. Eine Bande von Freunden für diesen einen Abend, wie es sich am Rande von Erwachsenenpartys eben so ergibt.
Die Welt in den Wänden
enthielt keine direkte Gebrauchsanweisung und drückte sich ärgerlich vage aus, was den Standort der berühmten Uhr anging. »In einem der hinteren Flure in einem der oberen Stockwerke« – mehr hatte Plover nicht verraten. Sie überlegten, ob sie sich aufteilen sollten, womit sie jedoch die grundlegende Lehre aller je gedrehten Filme verletzt hätten. Quentin hätte befürchtet, alle anderen könnten nach Fillory entschlüpfen und ihn allein zurücklassen, wie den Letzten beim Versteckspiel.
Die jetzigen Bewohner nutzten das oberste Stockwerk wohl gar nicht, und daher war es unrenoviert geblieben. Ein weiterer Glückstreffer. Nicht einmal die abgetretenen Fußböden waren neu versiegelt worden. An den Wänden hingen Tapeten, unter denen an manchen Stellen noch ältere Lagen von Tapeten durchschimmerten. Die Decken waren niedrig, und in den Zimmern stand ein Sammelsurium alter Möbel unter schützenden Laken. Je stiller es wurde, desto deutlicher war Fillory spürbar. Es lauerte in den Schatten, unter den Betten, hinter der Tapete, in seinem Augenwinkel, knapp außer Sichtweite. In zehn Minuten konnten sie schon zurück auf der
Muntjak
sein.
Hier waren sie richtig. Hier hatten die Kinder gespielt, hier war Martin verschwunden, hier hatte Jane alles beobachtet, hier hatte die ganze schreckliche Phantasie begonnen. Und dort im Flur, im hinteren Flur – wie es geschrieben stand, wie es in der Prophezeiung geheißen hatte – wartete eine große alte
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