Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition)
Standuhr.
Es war eine wuchtige Antiquität mit einem beeindruckenden Messingzifferblatt, von vier kleineren Kreisen umgeben, die die Mondphasen, die Sternzeichen und Gottweißwas anzeigten. Eingefasst wurden sie von dunklem, schmucklosem Holz ohne Zierden oder Schnitzereien. Die Uhrwerke mussten höllisch komplex sein, das Äquivalent eines Supercomputers im achtzehnten Jahrhundert. Das Holz stamme von einem fillorianischen Sonnenuntergangsbaum, hieß es im Buch, der seine flammend orangefarbenen Blätter jeden Tag im Abendrot abwarf, des Nachts einen blattlosen Winter überstand und im Morgengrauen frische grüne Blätter austrieb.
Quentin, Julia, Josh und Poppy gruppierten sich darum herum. Es war, als spielten sie einen Fillory-Roman nach, nein, besser noch: Sie waren mittendrin in einem neuen und schrieben ihn gemeinsam. Das Pendel der Uhr stand still. Quentin fragte sich, ob es noch mit dem Uhrwerk verbunden war oder ob die Kinder es beim Hindurchschlüpfen beschädigt hatten. Er fühlte nichts. Aber es musste funktionieren, er würde dafür sorgen! Er würde nach Fillory zurückkehren, und wenn er sich dafür in jeden verdammten Schrank in diesem Haus quetschen musste!
In dem Uhrenkasten würde es aber tatsächlich eng werden. Wenn er tief ausatmen und sich seitlich durchzwängen würde … So hatte er sich seine triumphierende Heimkehr nach Fillory zwar nicht vorgestellt, aber an diesem Punkt würde er nehmen, was immer sich ihm bieten würde.
»Quentin«, sagte Josh.
»Ja?«
»Quentin, sieh mich an.«
Quentin musste sich vom Anblick der Uhr losreißen. Als er Josh ansah, betrachtete dieser ihn mit einer Ernsthaftigkeit, die gar nicht zu ihm passte. Wieder eine neue Seite von Josh.
»Du weißt, dass ich nicht mitkomme, oder?«
Ja, Quentin wusste es. Er hatte es in der ganzen Aufregung nur verdrängt. Die Zeiten hatten sich geändert. Sie waren keine Teenager mehr, und Josh hatte sich sein eigenes Leben aufgebaut.
»Ja«, sagte Quentin. »Ich habe es mir schon gedacht. Danke, dass du uns bis hierher begleitet hast. Und du, Poppy? Das ist eine einmalige Chance.«
»Danke für dein Angebot.« Das schien ernst gemeint, als würdige sie die Bedeutung der Frage. Sie legte eine Hand auf die Brust. »Aber mein ganzes Leben spielt sich hier ab. Nein, ich gehe nicht mit nach Fillory.«
Quentin sah Julia an, die im Halbdunkel des Obergeschosses ihre Sonnenbrille abgenommen hatte.
Just you and me, kid.
Gemeinsam traten sie vor. Quentin ließ sich auf ein Knie nieder. Die Aussicht auf ihre bevorstehende Flucht verursachte ihm Ohrensausen.
Doch sobald er sich wieder erhob, erkannte er, dass es nicht funktionieren konnte. Erstens tickte die Uhr nicht, und zweitens wirkte sie viel zu solide. Die Uhr war, was sie war, sonst nichts – sie war feste, weltliche Materie, Holz und Metall. Quentin drehte den kleinen Knopf, öffnete die Glastür und betrachte das Pendel und das Geläut oder was auch immer sich unter dem Messingwerk verbarg und reglos hinunterhing. Mit dem Herzen war er schon nicht mehr bei der Sache.
Im Inneren war es dunkel. Quentin fasste hinein und klopfte gegen die Rückwand. Nichts. Er schloss die Augen.
»Verdammte Scheiße!«, fluchte er.
Egal. Noch war nicht alles verloren. Sie konnten es immer noch versuchen, indem sie auf Bäume kletterten. Obwohl Quentin in diesem Augenblick weniger Lust denn je dazu verspürte, auf einen Baum zu klettern.
»Ihr macht es falsch, deswegen klappt es nicht.«
Gleichzeitig drehten sie die Köpfe. Die Stimme gehörte zu einem kleinen Kind, einem Jungen. Er stand im Schlafanzug am Ende des Flures und beobachtete sie. Er war ungefähr acht Jahre alt.
»Was mache ich denn falsch?«, fragte Quentin.
»Du musst sie erst stellen«, antwortete der Junge. »So steht’s im Buch. Aber sie geht nicht mehr, ich hab’s versucht.«
Der Junge hatte weiche, zerzauste Haare und blaue Augen. Er war ein so typischer kleiner Engländer, wie man ihn sicher kaum ein zweites Mal fand, bis hin zu seiner Aussprache. Er hätte ein Klon von Christopher Robins sein können.
»Mummy hat gesagt, sie muss zum Uhrmacher, aber sie vergisst es andauernd. Auf die Bäume bin ich auch schon geklettert. Und ein Bild habe ich gemalt. Ganz viele Bilder sogar. Wollt ihr sie mal sehen?«
Sie starrten ihn an. Da sie ihn nicht wegschickten, kam er auf seinen nackten Füßen näher. Er war ein bisschen altklug und mitleiderregend distanzlos, wie es manchen englischen Kindern eigen ist. Man
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