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Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition)

Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition)

Titel: Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lev Grossman
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zusammengerollt lag wie ein kleiner Junge, der sich zu wärmen versucht? Alle gemeinsam arbeiteten sie die ganze Nacht hindurch, käsebleich und emsig. Julia saß neben der Leiche und nahm allmählich wieder ihre menschliche Form an. Endlich passte ihr Trauerkleid einmal zur Gelegenheit. Auch Schramme verhielt sich ganz seinem Charakter gemäß. Sein gequältes Gebaren steigerte sich zu Grabestrauer. Er verbrachte die halbe Nacht allein auf dem Vorderdeck, geduckt in seinen Umhang gehüllt wie ein verletzter Vogel.
    Einmal ging Quentin zu ihm, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war, doch als er sich näherte, hörte ihn vor sich hin murmeln: »Nicht schon wieder. Ich muss irgendwo hingehen, wo ich keinen weiteren Schaden anrichten kann.«
    Quentin beschloss, ihn mit seinen düsteren Gedanken allein zu lassen.
    Der Himmel hinter den Regenwolken wurde heller, als Quentin allein hinaus auf den Platz vor der Burg trat, um seine Aufgabe zu beenden. Er war durchgefroren und todmüde und fühlte sich wie der lebende Tote in der Bibliothek. Er war nicht der beste Mann für diesen Job, aber er musste ihn erledigen. Mit Hammer und Meißel in der Hand, geliehen vom Schiffszimmermann, ließ er sich vor dem Obelisken auf ein Knie nieder.
    Wahrscheinlich hätte man das auch mit Hilfe von Zauberei erledigen können, aber er wusste nicht mehr, wie, und wollte es auch nicht. Er wollte es mit eigenen Händen tun. Er setzte die Spitze des Meißels an und begann zu gravieren. Als er geendet hatte, standen zwei Wörter dort, ungleichmäßig, aber lesbar:
    Insel Benedikt
    Zurück auf dem Schiff, gab er den Befehl, ostwärts zu segeln, obwohl alle schon vorher gewusst hatten, wohin es ging. Dann begab sich Quentin unter Deck. Er hörte, wie der Anker gelichtet wurde. Die Welt kippte und löste sich, und endlich war er eingeschlummert.
     
    Die
Muntjak
eilte vor einem eisigen Sturm dahin. Er trieb sie über weite, insellose Ozeanflächen und geißelte die Segel, die sanftmütig die Qual ertrugen und das Schiff noch mehr beschleunigten. Gigantische smaragdgrüne Schwellströme rissen sie von unten mit, erhoben sich unter ihr und rollten ihr voraus, als hätte sogar das Meer genug von ihnen und könne kaum erwarten, dass ihre Reise endlich vorbei war. In Eliots Erzählung hatte ihre Fahrt wie eine endlose Aneinanderreihung von Reichtümern und Wundern geklungen, Tag für Tag geheimnisvolle Inseln, doch nun war der Ozean vollkommen leer, gnädig saubergeschrubbt von jeglichem auch nur annähernd Phantastischen. Ein totaler Reinfall.
    Vielleicht wichen ihnen die Inseln aus. Vielleicht waren sie Ausgestoßene geworden. Nicht ein einziges Mal erblickten sie Land – es war, als befänden sie sich auf einem großen Sprung ins Nichts.
    Das einzige Wunder ereignete sich auf dem Schiff. Es war ein kleines Wunder, aber ein echtes. Zwei Abende nach Benedikts Tod kam Poppy in Quentins Kajüte, um sich zu entschuldigen und nach ihm zu sehen. Sie blieb bis zum nächsten Morgen.
    Es war ein seltsamer Zeitpunkt für ein so schönes Ereignis. Es war der falsche Zeitpunkt, es war unpassend, aber vielleicht hatte es nur zu diesem Zeitpunkt geschehen können. Ihre Gefühle waren aufgewühlt und nahe an der Oberfläche. Quentin war, gelinde gesagt, überrascht, nicht zuletzt, weil er Poppy so sehr begehrte. Poppy war hübsch, und sie war klug, mindestens genauso klug wie Quentin, wenn nicht noch klüger. Und sie war lieb und lustig, wenn sie ihr Misstrauen einmal überwand, und ihre langen Beine waren so wundervoll, dass sie es mit jedem Wunder aufnehmen konnte, das Quentin je in dieser und allen anderen Welten gesehen hatte.
    Doch darüber hinaus besaß Poppy etwas, was Quentin fast genauso sehr begehrte wie das wortlose Vergessen im Sex – das allein schon genügt hätte, weiß Gott –, und das war die veränderte Perspektive. Poppy war nicht so vertieft in die großen Mythen der Suchen, Abenteuer und so weiter. Tief im Inneren interessierte sie sich gar nicht so sehr für Fillory. Sie war hier nur Touristin. Fillory war weder ihr Zuhause noch der Ort all ihrer kindlichen Hoffnungen und Träume. Es war nur irgendein Ort, und sie befand sich auf der Durchreise. Was für eine Erleichterung, Fillory vorübergehend nicht allzu ernst zu nehmen! Wann immer Quentin sich so etwas ausgemalt hatte, dann zusammen mit Julia, doch Julia brauchte ihn nicht, nicht auf diese Art und Weise. Und wenn er es recht bedachte, war Julia auch nicht die Person, die er

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